Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Gertrud. Das ging dann doch erstaunlich schnell, und als wir ein paar Wochen davor bei ihm zur Besichtigung seiner neuen Wohnung eingeladen waren, musste Friedrich sich in alter Brüderrivalität gleich wieder das Maul über die etwas unziemliche Eile zerreißen. »Du machst es clever, Hansmann«, sagte er mit falscher Anerkennung. »Gleich den Braten in die Röhre schieben und dann nichts anbrennen lassen. Bravo!«
Hansmann fasste dieses Lob natürlich zwiespältig auf, genau wie übrigens auch ich, denn er antwortete nicht eben freundlich: »Denk, was du willst, doch wisse, wenn du esmeiner Getrud gegenüber am nötigen Respekt fehlen lässt, sind wir geschiedene Leute und du betrittst mein Haus nicht mehr.«
Friedrich ruderte zurück und meinte lasch: »Wo ist denn dir der Humor so ganz abhandengekommen? In Afrika?«
»Komm, lass es gut sein, Friedrich. Noch so ein Fauxpas und ich mache Ernst. Humor hat seine Grenzen an der Integrität meiner Braut, darüber macht mir niemand seine Witze.«
Ich muss gestehen, mich wunderte dieses konsequente Eintreten von Hansmann für seine Gertrud sehr, und so schwierig ich mein Verhältnis zu ihm auch empfand, dies nahm mich wirklich für ihn ein.
Da die Hochzeit in Hamburg stattfand, wo Gertrud ihre Verwandten und Freunde hatte und ihr Vater, der Besitzer der Reederei Hoopmann & Söhne, seine Geschäfts- und Zigarrenclubfreunde, reisten wir mit der Bahn von Berlin an und zogen in ein gutes Hotel an der Außenalster, das nicht weit von der Hoopmann’schen Villa entfernt lag. So ließ Gertrud mich gleich nach der Ankunft durch einen Dienstboten zum Tee bitten und er begleitete mich, damit ich das Stück in männlicher Begleitung zu Fuß gehen konnte. Auf der Alster kreuzten Segelboote hart am frischen bis stürmischen Wind und ich musste meinen Hut festhalten, um ihn nicht der Seebrise zu opfern, die von der Nordsee bis nach Hamburg hereinwehte.
Ich fand Gertrud, die sonst die Ruhe selbst war, in höchster Aufregung vor und sie brannte geradezu darauf, mir ihr Hochzeitskleid zu zeigen, das ich mir an ihr wirklich ganz entzückend vorstellen konnte. Da sie keine Mutter mehr und keine Schwester hatte, war ich ihr an diesem Tage Ersatz für beides. Was sich als recht lustig erwies.
»Erzähl von Hansmann«, verlangte sie. »Und von der Wohnung, hat er ein Kinderzimmer eingeplant?«
»Es geht ihm gut«, sagte ich lächelnd, »und soweit ich mich erinnere, ist die Größe der Wohnung so reichlich bemessen, dass ihr dort mehr als ein Kind unterbringen könnt, ohne euch beschränken zu müssen.« Und weil sie gar so sehr drängte, beschrieb ich ihr die Wohnung bis ins kleinste Detail und hob besonders die luxuriöse Ausstattung des ehelichen Badezimmers hervor. Sie war hocherfreut, und nachdem ich sie noch hinsichtlich ihrer Frisur beraten hatte, entließ sie mich schließlich wieder in die Obhut des Dieners, der mich zum Hotel zurückbringen sollte. Ich schied mit einem guten Gefühl von einer glücklichen Braut, um mich für das Abendessen mit der Familie Hoopmann noch ein wenig umzukleiden und zurechtzumachen.
Wir verbrachten noch einen langen angenehmen Abend mit Gertruds Familie, wobei Vanderborg nach dem Essen unterstützt von Utz wohl auch die nicht unbeträchtliche Mitgift verhandelte, die zu erwarten war. Mich freute es, dass Hansmann eine so nette Frau gefunden hatte, die auch noch eine außerordentlich gute Partie war, wenngleich Letzteres mich aber auch schier verzweifeln ließ, weil es mein Opfer, den Utz zu heiraten, um Vanderborg zu sanieren, so völlig sinnlos machte.
Wäre diese Ehe ein paar Monate eher geschlossen worden, hätte ich mit Amadeus glücklich werden können, statt nun in einer verbrecherischen Liaison mit ihm zu leben, während mein Ehemann sich – nicht weniger verbrecherisch, doch von der bigotten Gesellschaft als dem Wesen des Mannes entsprechend toleriert – mit den Huren Berlins vergnügte. Der einzige Trost in dieser Situation war,dass wir uns gegenseitig keine Vorwürfe machen mussten, denn jeder von uns frevelte in gleicher Weise am anderen. Doch beruhigte mich diese Gewissheit nur teilweise, und anlässlich der Hochzeit von Hansmann und Gertrud, die aus gegenseitiger Liebe geschlossen wurde, spürte ich die Bitternis meines Schicksals besonders herb.
Die Feierlichkeiten waren bestens organisiert und nach der kirchlichen Trauung im Hamburger Michel ging es hinunter zum Hafen, wo in einem großen Saal im Gebäude der Reederei eine
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