Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
seinem Eintritt ins Leben bereitet hatte, verzeihen ließ. Ganz stolzer Vater trug er ihn gut eingewickelt umher und ließ jeden, der sich in der Wohnung befand, an seinem Glück teilhaben. Gertrud war gegen mich voll Dankbarkeit, und als sie meine Hand ergriff, um mich ihres Beistands ebenfalls zu versichern, wenn ich mit meinem ersten Kinde niederkäme, da flossen mir die Tränen. Einmal vor Rührung, zum anderen aber auch, weil ich mir sicher war, als Vampirin nie ein Kind bekommen zu können, was ich trotz der Geburtsqualen nun, nachdem ich das Glück erleben durfte, welches der kleine Erdenbürger seinen Eltern schenkte, doch sehr traurig fand.
I m Januar des Jahres 1904 erhielt Utz eine Telegrafennachricht vom »Wolffschen Bureau«, dessen Nachrichtendienst er abonniert hatte, um über das Geschehen in der Welt, vornehmlich in Afrika und da im südwestlichen Teil, informiert zu sein. Sie besagte, dass es in den deutschen Schutzgebieten zu Übergriffen auf die weißen Siedler durch Mitglieder des einheimischen Stammes der Hereros gekommen sei, die mehrere Todesopfer unter der weißen Bevölkerung gefordert hätten und bei denen auch Farmen gebrandschatzt und geplündert worden seien. Utz war aufs Äußerste alarmiert und erzählte jedem, der es wissen oderauch nicht wissen wollte, dass er schon damals bei seinem Besuch die lauernde und hintertriebene Art der Neger gespürt hätte, die sich zwar von den Weißen das Land hätten bezahlen lassen, es aber im Grunde ihres Herzens nicht wirklich hergeben wollten. Friedrich meinte, er hätte damit so unrecht nicht, denn viele afrikanische Stämme und Nationalvölker seien nicht länger gewillt, den Ausverkauf ihrer angestammten Heimat so einfach hinzunehmen. Zwar seien die deutschen Kolonien weniger durch kriegerische Eroberungen denn durch geschickte Landkäufe von tüchtigen Geschäftsleuten in deutschen Besitz gekommen, doch könnte auch das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Eingeborenen bei diesem Handel schlichtweg »über den Tisch gezogen wurden«, wie er es ausdrückte. Besonders die Hereros in Deutsch-Südwestafrika, ein, wie man aus den Gazetten erfuhr, stolzes Volk mit großartig aussehenden Menschen, lehnten sich gegen die Ausbeutung ihrer Bodenschätze und der Arbeitskraft ihres Volkes auf. Dies war für alle, die mit den Kolonien Handel trieben, eine Katastrophe und auch Utz blieb bald der Nachschub an Rohdiamanten und Kupfer aus, sodass er seine Lieferverträge nicht mehr erfüllen konnte und seine Geschäftspartner dadurch zu beruhigen suchte, dass er umgehend selbst aufbrach, um in den Krisengebieten nach dem Rechten zu sehen. Ich erfuhr es von Hansmann, den er sich erneut zu seiner Begleitung gewünscht hatte, der ihn aber abschlägig beschied, weil seine Gertrud wieder guter Hoffnung war und er sie mit der Schwangerschaft und dem kleinen Wilhelm nicht alleine lassen wollte. Auch hatte Gertrud ihn inständig gebeten, an seine Familie zu denken und sich nicht unnötig in Gefahr zu bringen. So lud Utz sich den Radke als Begleiter ein, was dieser natürlich nichtausschlug, da ihn in Afrika sicherlich berichtenswerte Sensationen erwarteten.
Ich atmete auf, weil ich einige Wochen der Ruhe vor mir sah, und um Amadeus gleich die guten Neuigkeiten persönlich mitzuteilen, ließ ich Friedrich eine Nachricht zukommen, dass ich mich in die Brüderstraße aufmachen würde, um dort die Nacht zu verbringen. Als unser Postillion d’Amour würde er sie flugs an Amadeus weitergeben.
Ich hatte allerdings meine Rechnung ohne Vanderborg gemacht, der, durch Hansmanns Hochzeit und Gertruds liebevolle Fürsorge für ihn, nun vollends frischen Lebensmut gefasst hatte und damit beschäftigt war, für das neue Programm des Großen Pilati, mit dem dieser im Berliner Wintergarten auftreten wollte, eine sensationelle, nie da gewesene Illusionsmaschine zu entwickeln, für die er allerdings noch ein wenig Kleingeld benötigte, das ihm Utz per Kredit zur Verfügung stellen sollte. Um dies zu besprechen, hatte er Utz und den Großen Pilati spontan zu einem kleinen Herrenessen in die Brüderstraße eingeladen. Nichts von alldem ahnend hatte ich mich just für denselben Abend dort mit Amadeus verabredet.
Ich hatte ihm bereits von Utz’ bevorstehender Reise in die Kolonien erzählt und wir wünschten ihm beide ganz herzlich, dass er dort von den Eingeborenen gevierteilt und in ihren großen Töpfen zu einer Mahlzeit verarbeitet werden möge, als das Schicksal mit einer
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