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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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unbegründet, und als Friedrich zurück nach Berlin fuhr, verabschiedete er sich wie immer und versprach mir Amadeus recht bald zu schicken.
    Zwar mussten wir nun, nachdem Utz und Radke wieder in Berlin weilten, erhöhte Vorsicht walten lassen, denn es hing schließlich noch die Duelldrohung in der Luft, die mich nun doch sehr ängstigte. Aber nach Friedrichs Bericht war es eher unwahrscheinlich, dass Utz sich überhaupt noch für mich oder Amadeus interessierte, und so war nicht einzusehen, wieso er sein Lotterleben mit Madame Chantal in aller Öffentlichkeit fortsetzte, ich mich aber von Amadeus fernhalten sollte. Allein der bloße Gedanke war mir unerträglich, denn ich konnte ohne seine Liebe nicht sein, und nun, da ich vielleicht sein Kind unter meinem Herzen trug, war er mir noch viel unverzichtbarer.
    Inzwischen hielten die Unruhen in den Kolonien an, und besonders in Deutsch-Südwestafrika, wo Utz in vielen Bereichen sein Geld stecken hatte, weiteten sich die Kämpfe aus und es waren zunehmend Verluste unter den Soldaten der Schutztruppe zu verzeichnen. Die einzige Antwort, die das Reich zur Hand hatte, war militärischer Art, und so setzte sich ein Marineexpeditionskorps unter GeneralLothar von Trotha in Gang, damit er die erfolglos agierenden Truppen koordinierte und als Kommandant den Oberbefehl übernahm, um die Aufständischen ein für alle Mal zur Räson zu bringen. Von Trotha war ein rechter Haudegen, mit scharfer Nase, straff gezwirbeltem Schnurrbart und starken Augenbrauen, den seit seiner maßgeblichen Beteiligung an der erfolgreichen Niederschlagung des Boxeraufstands in China der legendäre, wenn auch etwas zwiespältige Ruf umgab, selbst das widrigste Kriegsgeschehen zum Sieg wenden zu können und dafür notfalls über Leichen zu gehen.
    Natürlich setzte der Kaiser auf einen solchen Mann, um endlich wieder Ruhe in die Überseegeschäfte des Deutschen Reiches zu bringen.
    Ich persönlich hoffte, dass Utz, der schließlich Interessen in den Kolonien hatte, sich der Truppe zumindest als Beobachter anschließen würde, und musste dann mit Entsetzen feststellen, dass Amadeus, der weitläufig mit von Trotha verwandt war, diesem die Einladung, an der Strafexpedition teilzunehmen, nicht abschlagen konnte, ohne seine Karriere beim Militär ernsthaft zu gefährden.
    »Mach etwas anderes!«, flehte ich ihn an, »Egal, was es ist, ich will es zufrieden sein, wenn du nur bei mir bleibst!«
    Mein Appell war vergebens.
    »Es geht nicht«, sagte er und sein Blick war schwer von Traurigkeit. »Mein Vater steht ihm in der Schuld, und es ist eine Frage der Ehre und der Freundespflicht, dass ich ihm beistehe bei diesem gefährlichen Unternehmen.«
    Aber ich brauche dich genauso sehr, wollte ich sagen, wenn du der Vater meines Kindes bist, musst du bei mir sein in meinen schweren Stunden! Allein ich brachte es nicht über die Lippen, denn ich konnte ja nicht einmalsicher sein, dass das Würmchen unter meinem Herzen tatsächlich sein Kind war.
    Es ging dann alles sehr schnell. Amadeus kam kaum noch aus der Garnison, und ohne dass wir uns noch einmal in Blankensee sehen konnten, wurde das Afrikakorps mit einer feierlichen Truppenparade und dem Fahneneid auf dem Platz vor dem Berliner Schloss verabschiedet.
    Ich stand mit Gertrud, Hansmann und Vanderborg eingekeilt in der Menschenmasse, die dem Spektakel beiwohnen wollte, und erhaschte nicht mehr von Amadeus als einen kurzen Blick aus seinen geliebten Augen. Für einen Moment krallten sich unsere Blicke verzweifelt ineinander, so als hätten unsere Seelen Hände und Arme bekommen, um einander für immer und ewig zu umschlingen, dann war dieser magische Moment vorbei und Amadeus marschierte in Reih und Glied mit seiner Truppe zum Anhalterbahnhof, um mit der Bahn nach Bremen zu fahren und sich von dort im Überseehafen an Bord eines Panzerkreuzers nach Afrika einzuschiffen.
    Um mich herum brachen die Menschen in Jubelschreie aus, nur ich stand wie festgewachsen und starrte ihm schweigend nach, während meine Seele ihm schreiend hinterherlief.
    Und als seine Kompanie hinter dem Schloss in die nächste Straße verschwand, da war meine Angst plötzlich so übermächtig, dass mir fast das Herz zerspringen wollte, und als mich ganz unverhofft mein Kind in den Bauch boxte, konnte ich mich über diese erste Kindsbewegung nicht freuen, denn ich war mir sicher, dass ich Amadeus nie wiedersehen würde.
    … das Kind in deinem Leibe hat keinen Vater mehr, er liegt tot in der Wüste

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