Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
zusammengebracht, aber ich wollte diesen Weg nicht gehen … nicht mit demselben Mann, mit dem sie ihn gegangen war. Es würde, das fühlte ich in meinem Unterbewusstsein, auch mein Verderben sein!
D
ie unnatürliche Hitze löste sich in den nächsten Tagen in zahlreichen heftigen Gewittern mit wolkenbruchartigen Regenfällen. Berlin schien in den Wassermassen zu versinken. Spree und Havel, einschließlich ihrer Nebenarme und Zuflüsse, führten Hochwasser, und die Kinder amüsierten sich an den überschwemmten Ufern, was allerdings nicht ungefährlich war und mehrere von ihnen das Leben kostete, weil sie in Unterströmungen gerieten und in die tosenden Flüsse gerissen und fortgespült wurden.
Kommissar Werner teilte mir mit, dass er zumindest vorübergehend seine Leute abziehen müsse, da jeder Streifenwagen für Katastropheneinsätze gebraucht würde.
Ich nahm es zur Kenntnis und machte mir darüber keine Sorgen. Es gab angesichts des katastrophalen Wetters andere Probleme, zum Beispiel die Fenster in der WG vor den Wassermassen abzudichten, die der Sturm gegen die Scheiben peitschte.
Es tobte gerade wieder ein Gewitter, als mich eine SMS von meiner Mutter erreichte: Louisa, ich bin in der Gewalt von Karolus Utz. Bitte, komm nach Blankensee, wenn du mich noch einmal lebend sehen willst. Deine Mutter
Mir fiel das Handy aus der Hand, und ich fühlte, wie ich vor Schreck erstarrte. Das Blut wich mir nahezu vollkommen aus Kopf und Gliedmaßen und mein Herz schien sich zu einem schmerzenden Klumpen in meiner Brust zusammenzuziehen.
Marc, der neben mir am Frühstückstisch in der WG-Küche saß, bückte sich und hob das Handy auf.
»Was ist, Loulu? Du bist plötzlich so blass. Schlechte Nachrichten?«
»Meine Mutter …«, stammelte ich. »Sie haben meine Mutter entführt!«
Marc starrte auf das Display des Handys und las nun ebenfalls die Botschaft.
»Das ist ein schlechter Scherz, Louisa«, versuchte er mich zu beruhigen. »Schau mal, die Nummer ist unterdrückt. Die SMS kann von irgendeinem beliebigen Handy verschickt worden sein. Ruf deine Mutter an, dann bist du sicher. Sie ist um diese Zeit bestimmt in ihrer Wohnung.«
Wie immer in solchen krisenhaften Situationen behielt Marc mal wieder einen kühlen Kopf. Na klar, jeder Mensch würde sich erst einmal vergewissern, ob die Behauptung in der SMS überhaupt zutraf. Also rief ich mit zitternden Fingern die Nummer meiner Mutter auf und klingelte sie an.
Eine fremde Stimme meldete sich, sie war rau und weiblich … und hatte einen polnischen Akzent. Sofort stand das Bild der zugehörigen Person vor meinem inneren Auge: schlank, mit flammend rotblonden Haaren und brennendem Blick … Grimhilde, die Werwölfin!
»Was macht ihr mit meiner Mutter?«, schrie ich panisch ins Handy. »Lasst sie sofort frei!«
Ich hörte ein kehliges Lachen am anderen Ende. »Willst du sie hören?«
Offensichtlich hielt sie meiner Mutter das Handy hin, denn ich erkannte sofort ihre Stimme, als sie rief: »Bleib, wo du bist, Louisa! Komm auf keinen Fall nach Blankensee. Ich …«
Ich hörte einen erstickten Schrei und dann war die Leitung tot.
Völlig hysterisch sprang ich vom Sofa auf und schrie: »Es stimmt! Sie haben sie entführt! Wir müssen sofort nach Blankensee!«
Als mich Marc in seine Arme ziehen wollte, stieß ich ihn fort, aber schließlich sank ich doch völlig aufgelöst an seine Brust.
»Was sollen wir denn nur tun?«, jammerte ich noch vollkommen unter Schock. Zugleich aber ärgerte ich mich über mich selbst, weil ich durch meine eigenen Sorgen meine Mutter völlig vergessen hatte. Ich hätte sie natürlich warnen müssen, denn wie es schien, wusste Utz sehr genau, dass ich nicht die einzige noch lebende Nachfahrin der Vanderborgs war. Als meine Entführung fehlschlug und ich danach rund um die Uhr von der Polizei bewacht wurde, holte er sich einfach eine andere Vanderborg, an die er leichter herankam. Er entführte meine Mutter und verschleppte sie nach Blankensee. Ich schlug mir die Hand vor den Mund, um nicht laut zu schreien, und völlig mit den Nerven fertig brach ich in Tränen aus.
Wenigstens Marc behielt seinen Verstand und die Übersicht. »Du solltest den Kommissar verständigen«, sagte er. »Wir allein werden da kaum etwas erreichen können.«
»Bloß nicht!«, brauste ich auf. »Sie werden sie sofort töten, wenn sie das mitkriegen. Und sowieso … die Polizei ist völlig machtlos gegen sie. Sie werden wieder genauso entkommen, wie sie
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