Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
mir am Morgen beim Frühstück die Kritiken vorlas. Sie hatte Schrippen geholt und gleich ein paar Zeitungen mitgebracht. Die Aufführung hatte ja richtig Beachtung gefunden. Sogar in einigen Feuilletons wurde darüber berichtet. Die meisten Lorbeeren strich natürlich Roger für seine gewagte Inszenierung ein. Durchweg fand seine »bluttriefende und sexuell provokante Interpretation der Elektra« Beifall, nicht immer ungeteilt, aber doch überwiegend. Es war erfreulich, dass auch für mich ein paar lobende Worte abgefallen waren: »verhaltene Stärke … schnörkellose Sprache … tief auslotende, wahrhaftige Emotionen … ein junges Talent, von dem man noch hören wird«.
Als Marc sich zu uns setzte, war er von den Artikeln sichtlich beeindruckt. »Vielleicht solltest du ein Theater aufmachen«, meinte er. »Ich baue dir, wenn du willst, einender Flügel auf Gut Blankensee um. Dann hast du dein eigenes Theater, genau wie der Sonnenkönig Ludwig der XIV. in Versailles.«
Ich richtete mich auf meinem wackeligen Küchenstuhl auf und schickte ihm einen huldvollen Blick hinüber.
»Eine formidable Idee. Mache er die Pläne … husch, husch … dann werden wir darüber befinden und die Bauleute beauftragen.« Und an Isabell gerichtet fügte ich hinzu: »Verpflichte sie mir die besten Schauspieler und engagiere sie diesen Roger. Wir lieben es blutig.«
Doch als ich das sagte, fiel mir die nächtliche Szene mit Amadeus wieder ein, und ich fragte mich, ob sie wieder nur ein Traum, die Ausblühungen eines Vollrausches oder Wirklichkeit gewesen war. Aber egal, wie die Antwort auch ausfallen würde, sie konnte mir nicht gefallen, und darum lehnte sich alles in mir dagegen auf: Amadeus war kein Vampir!
B
is zu den Semesterferien und der Abschlussfeier an der Schauspielschule machte ich erst mal in meinem WG-Zimmer klar Schiff und traf dann meine Mutter, um mit ihr zu besprechen, wie es nun weitergehen sollte.
Wir fuhren tatsächlich ins KaDeWe, aßen dort leckeren Fisch und tranken Sekt dazu. Meine Mutter hatte vor Rührung Tränen in den Augen und beteuerte immer wieder, wie stolz sie auf mich sei, und die Freude und der Sekt lösten ihr die Zunge, sodass sie sogar über die Familie plauderte.
»Eine richtige Schauspielerin«, sagte sie bewegt, »das hat es in unserer Familie noch nie gegeben. Deine Großmutter, ja, die hat gesungen, schon als wir noch in der DDR lebten,aber nur in kleinen Clubs, also im Westen, in der DDR gab es das damals ja nicht, jedenfalls nicht öffentlich und nicht so … freizügig … Ach, lassen wir das.« Sie nahm einen Schluck Sekt. »Wie sehen denn nun deine Pläne aus, Louisa. Hast du schon ein Engagement?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, die Bewerbungen gehen jetzt aber bald los. In der Theaterpause sind immer einige Vorsprechtermine, die werde ich natürlich wahrnehmen.«
»Es wäre so schön, wenn du in Berlin bleiben könntest.«
»Ja, das fände ich auch … schon wegen Blankensee. Ich würde das Gut gerne weiter ausbauen … und natürlich bei meinen Freunden in der WG bleiben … und bei dir … selbstverständlich.«
»Vielleicht solltest du das Gut verkaufen«, schlug meine Mutter vor. »Ich meine, etwas wird es doch einbringen und dann hast du eine kleine Rücklage, bis du ein Engagement bekommst. Man weiß ja nie, ob das gleich klappt. Weißt du … man braucht schon ein paar Sicherheiten.«
Ach je, sie nun wieder mit ihrem bürgerlichen Denken. Meine Mutter war aber auch kein bisschen risikofreudig.
Ich wollte sie aber nicht verärgern und so nickte ich ergeben und versprach ihr, zumindest darüber nachzudenken. Wir verabschiedeten uns also in vermeintlichem Einvernehmen.
Als ich wieder in der WG ankam, stand vor dem Haus ein mit Girlanden geschmückter alter Käfer, um den sich ein Pulk Kinder scharte. Heiratete jemand aus dem Haus? Das hatte ich ja gar nicht mitbekommen. Aber ich hatte in letzter Zeit so einiges nicht mitbekommen, das wollte also nichts heißen.
Als ich näher hinsah, fiel mein Blick auf ein großesPappschild, das innen vor der Windschutzscheibe klebte. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, denn da stand nicht Just married drauf, sondern: Für Louisa von ihren Freunden aus der WG! Allzeit gute Fahrt!
Ich fasste es nicht. Doch da ging oben die Balkontür auf und Marc, Stefan, Isabell und Mandy winkten mir lachend zu. Das war wirklich eine gelungene Überraschung.
Ich rannte natürlich wie der Wind die Treppe hoch und klingelte an
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