Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
du? Falls das unter Menschen war, dann wirst du es doch sicherlich unter einem Namen getan haben.«
»Und wenn ich den vergessen wollte?«
»Warum solltest du das tun?«
»Weil mein bisheriges Leben an ihm klebt … ein Leben, das ich möglicherweise abstreifen möchte.«
»Warum solltest du es abstreifen wollen?«
»Weil es vielleicht nicht glücklich war … weil ich in schrecklichen Zeiten lebte … von einem grausamen Schicksal verfolgt wurde … vielleicht Verbrechen begangen habe. Was meinst du … Könnte ich ein Mörder sein, ein Massenmörder womöglich?«
»Du machst mir Angst!«
»Siehst du … und das will ich nicht! Mein Name ist voller trauriger Erinnerungen, mit dir aber wäre alles neu.«
Er sah mir nun direkt ins Gesicht und seine Augen leuchteten wie polierte Bernsteine in einem verhaltenen Feuer. Mir war klar, dass er durch unser Wortgeplänkel aufs Äußerste erregt war. So hatte ich ihn noch nie gesehen, und im nächsten Augenblick riss er mich mit einer solch leidenschaftlichen Begierde an sich, dass ich vor Schreck wehr- und willenlos zuließ, dass er mein Gesicht wild mit Küssen bedeckte. Bald glitten seine kühlen Lippen hinunter zum Kinn und dann an meinem Hals entlang, und so sehr es mich auch erschreckte, so sehr gefiel es mir auch. Noch nie war ein Mann so leidenschaftlich über mich hergefallen, noch nie hatte jemand auch nur annähernd einen ähnlichen Gefühlssturm entfesselt. Nicht einmal bei den Theaterproben. Und so schmolz ich überwältigt in völliger Hingabe dahin.
»Gib du mir einen neuen Namen«, wisperte er mit denLippen an meinem Hals. »Tauf mich, mach mich ganz zu dem Deinen … und werde du ganz mein.«
Ich schloss die Augen, war wie betäubt … konnte nicht mehr denken … nur noch fühlen … seine weiche, kalte Zunge leckte meinen Hals … rauf und runter … elektrisierend erotisch …
»Amadeus«, flüsterte ich. »Amadeus!«
Er stieß mich so heftig von sich, dass ich gegen die Balustrade der Freitreppe taumelte, und ehe ich noch etwas sagen konnte, war er mit rasender Geschwindigkeit verschwunden.
Als wir am nächsten Tag zurück in Berlin waren, googelte ich sofort den Namen, von dem ich selber nicht wusste, wie ich auf ihn gekommen war und was er eigentlich bedeutete.
Ich verstand gar nicht, warum mein geheimnisvoller Freund so merkwürdig auf meinen Vorschlag reagiert hatte. Mozart hieß so, erstaunlich viele Grafen trugen diesen Namen und auch seine Bedeutung konnte einem doch gefallen: Liebe Gott ! Wer sollte also daran Anstoß nehmen? Doch allenfalls jemand, der mit dem Teufel im Bunde stand, und das wollte ich denn doch nicht annehmen.
»Amadeus« murmelte ich leise und fand, dass es wie Musik klang. Und weil » die Musik der Liebe Nahrung ist«, nannte ich den geheimnisvollen Fremden von nun an in meinen Gedanken Amadeus, und es war mir egal, ob es ihm gefiel oder nicht.
D
ie nächste Woche stand dann ganz im Zeichen der Elektra -Aufführung der Abschlussklasse der Schauspielschule. Daneben gab es nichts anderes. Die letzten Proben brachten mich an den Rand des Wahnsinns, aberes half nichts, da musste ich durch. Wenn ich diesmal nicht bestand, konnte ich mir einen Job als Klofrau suchen oder Currywurst am Alex verkaufen.
Natürlich war ich extrem nervös und sicherlich für meine Mitbewohner schwer zu ertragen, aber alle nahmen es nicht nur gelassen, sondern waren auch noch rührend um mich besorgt. Am Tag der Kostümprobe fiel mir dann brühheiß ein, dass ich ja meine Mutter noch gar nicht eingeladen hatte. Ich riss das Handy heraus.
»Willst du zu meiner Abschlussaufführung kommen?«, fragte ich ohne lange Vorrede.
»Äh, ja, sicher, gerne, wann ist die denn?«
»Übermorgen um 20 Uhr im Theatersaal der UdK. Du weißt doch, wo es letztes Mal auch war.«
Schweigen.
»Hast du gehört?«
Ein einsilbiges »Ja.«
»Und? Kommst du? Ich muss dir dann noch eine Karte besorgen. Aber das klappt … weil jeder, der spielt, ein paar Freikarten für Freunde und Verwandte kriegt.«
»Dann reservier eine für mich«, sagte meine Mutter, aber es klang nach wie vor nicht enthusiastisch. Machte sie sich Sorgen, dass ich wieder durchfallen würde?
»Diesmal bestehe ich, keine Angst!«
»Ich habe keine Angst. Du machst das schon. Aber …«
»Was aber?«
»Ich habe eigentlich Dienst … wir … äh … haben eine Tagung … ausgerechnet … über hundert Leute … mit dem ganzen Paket.«
Ach, nein! Das konnte sie mir doch nicht
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