Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
vorher!«
Robert hörte zwar auf zu schluchzen, schüttelte aber den Kopf. »Niemand, der in diesem Krieg war, kann danach derselbe sein.« Doch nach ein paar Minuten des Schweigens lächelte er leicht. »Was das mit dem Heiraten angeht … also, unter diesen Umständen … würde ich mit dir sogar bis ans Ende der Welt gehen.«
Und um ihm zu helfen, seine verbliebene Männlichkeit unter Beweis zu stellen, begann ich mich ein wenig frei zu machen … Robert streichelte meinen Körper, liebkoste sanft meine Brüste, und schon bald liebten wir uns wild und begierig, so als wäre es das letzte Mal. Nachdem unsere Lust ihren Höhepunkt überschritten hatte, sanken wir in eine sanfte, beschützende Zärtlichkeit, bis uns die eisigen Temperaturen zurück in die Wirklichkeit holten. Vor Kälte schlotternd zogen wir uns mit klammen Fingern so viele warme Kleidungsstücke wie möglich übereinander.
»Wir werden es schaffen! Wir kehren nach Berlin zurück und dann wird dieser Krieg endlich auch vorbei sein«, sagte ich leise.
Robert fuhr mir mit seinen kalten Fingern über die Lippen und flüsterte: »Ich liebe dich.«
Eine Träne der Rührung lief über meine Wange und ich wischte sie schnell weg, damit sie nicht auf das kostbare Buch fiel und die Tinte verwischte. Dabei glitt mein Blick weiter über die Zeilen. Meine Großmutter Lysette musste damals noch blutjung gewesen sein. Ich überlegte, wann sie geboren worden war … 1926? Dann wäre sie knapp siebzehn gewesen. Wie mutig, sich ganz alleine nach Russland aufzumachen, um Robert zu suchen! Ich hätte mich das nicht getraut. Aber ich war ja auch keine Vampirin!
Ich ließ mich erneut in die Lektüre der Chronik fallen, denn ich wollte mehr über sie und Robert und ihre Liebe in den schweren Zeiten wissen. Aber die Aufzeichnung endete abrupt.
Unablässig rollten die Panzer an uns vorbei und legten ein Haus nach dem anderen in Schutt und Asche.
Blut und Fleisch von zerfetzten Körpern regneten auf unserenUnterstand herab. Eng aneinandergedrückt verharrten wir in stummem Entsetzen, bis die Dämmerung kam und der Kampflärm abnahm. Im Schutze der Nacht verließen wir den Schützengraben und begannen, uns zwischen den feindlichen Linien nach Hause durchzuschlagen.
A
madeus war zurückgekehrt. Ich stellte es fest, als ich meinen Blick vom Buch hob und ihn in einem Sessel am Kamin sitzen sah. Er hatte mich wohl schon eine Weile schweigend beim Lesen beobachtet.
»Ich wusste nicht, dass meine Großmutter eine Vampirin war und meinem Großvater nach Stalingrad nachgereist ist«, sagte ich. »Was für eine starke Frau!«
Amadeus lächelte. »So hast du von hinten angefangen zu lesen?«
Ich zuckte die Schultern. »Was blieb mir anderes übrig? Glaubst du, irgendjemand in meinem Alter kann heutzutage diese alte deutsche Schreibschrift lesen? Alles, was Estelle geschrieben hat, könnte auch in Arabisch oder Kyrillisch sein, es wäre genauso unverständlich für mich.«
»Dann wirst du es wohl lernen müssen«, meinte Amadeus grinsend. »Du wirst nicht verlangen, dass ich es dir vorlese!«
Ich schluckte. Zum Spaßen war mir wirklich nicht zumute. Also brach ich das Wortgeplänkel ab. Vielleicht konnte er mir ja demnächst tatsächlich einmal die wichtigsten Dinge erzählen, sonst würde es eine Weile dauern, bis ich die Chronik durchhatte. Zumal ich sie ja immer nur häppchenweise hier unten im geheimen Gewölbe lesen durfte.
Ich schielte zu Amadeus hinüber. Mittlerweile zweifelteich nicht mehr an der Echtheit der Chronik und verdächtigte ihn auch nicht mehr, ein Fantasyschriftsteller zu sein. Aber war er deswegen wirklich ein Vampir? Wo stand etwas über ihn in dieser Chronik? Hatte er selber auch etwas eingetragen?
»Nein«, sagte er.»Es waren stets die Frauen der Vanderborgs.«
»Aber wenn du der Letzte bist, dann ist es deine Pflicht, die Chronik weiterzuführen.«
Er schmunzelte. »Vielleicht mache ich es – dir zuliebe. Andererseits wird es ja vielleicht einmal deine Aufgabe …«
Ich starrte ihn entgeistert an, aber er behielt das Lächeln bei und ergänzte lediglich: »Nach unserem Blutkuss, meine ich …«
Na, danke!
»Kann ich das Buch nicht doch mitnehmen?«, bat ich und schlug es zu. »Ich habe jetzt Zeit und könnte es in Berlin weiterlesen.«
Er schüttelte den Kopf und verstaute die Chronik wieder in ihrem Geheimfach.
»Nein. Sie verlässt diese Räume nicht. Bleib hier, wenn du sie weiterlesen willst. Was zwingt dich, nach
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