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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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schoss mir zwei Kugeln in Kopfund Brust. Ich wurde durch die Wucht der Einschläge auf den Deckenhaufen geworfen, der das Lager bildete, und stellte mich instinktiv tot. Ich hörte einen russischen Fluch und bekam noch mit, dass der Adjutant eine schallende Ohrfeige erhielt, dann waren sie fort.
    Ich hatte mich noch nicht von dem Schock erholt, als deutsche Soldaten in das Gebäude eindrangen und mich entdeckten. Sie sahen meine Verletzungen und konnten es nicht fassen, dass ich noch lebte. Ein Sanitätsoffizier behandelte mich notdürftig, denn er hatte weder genügend Verbandszeug noch Medikamente. Ich sagte ihm dabei meinen Namen und dass ich auf der Suche nach Robert sei.
    Er schüttelte den Kopf, stand auf und rief etwas hinaus in die Nacht. Ich sank erschöpft zurück auf das Lager und schloss die Augen. Wieder einmal fragte ich mich, was ich hier eigentlich tat
?
?
    Plötzlich fühlte ich eine Berührung, eine kalte Hand strich über meine Stirn und wenig später küssten kühle, raue Lippen meinen Mund. Ich musste die Augen gar nicht öffnen, um zu wissen, wer sich da mit dieser zärtlichen Geste bei mir zurückmeldete. Ich schlang die Arme um Robert und konnte kaum fassen, dass er wohlbehalten vor mir stand, dass ich ihn in dieser lebensfeindlichen Steinwüste, dieser eisigen, todbringenden Hölle tatsächlich gefunden hatte.
     
     
    Ich zuckte zusammen, als ich in meinem Nacken einen kühlen Kuss spürte. Amadeus war unbemerkt hinter mich getreten.
    »Und?«, fragte er. »Verstehst du nun?«
    Ich schüttelte den Kopf. Das war alles viel zu fantastisch.
    »Hast … hast du das geschrieben?«, fragte ich jedoch.»Bist du ein Schriftsteller? Das klingt alles so unrealistisch … so ausgedacht!«
    Amadeus lächelte. »Woran man wieder einmal sieht, dass das Leben die unwahrscheinlichsten Geschichten schreibt. Nein, Louisa, alles, was du da liest, haben die Frauen der Vanderborgs geschrieben, und es ist nicht nur wahr, sondern auch deine Geschichte.« Er zögert einen Moment und ergänzte dann: »Und auch die meine.«

Teil zwei

liebesfluchten
    … Wir leben, um uns zu lieben
Und sinken zurück in die Nacht …

I
ch hatte mich festgelesen. Die Chronik der Vanderborgs, und darin besonders die Geschichte meiner Großmutter Lysette, zog mich vollkommen in ihren Bann.
    Aber wie unwirklich erschien mir das alles. Dieser Ort, dieses Buch und die schulmädchenhafte Handschrift meiner Oma, die meinem Großvater Robert 1942 aus Liebe bis an die Ostfront nach Stalingrad nachreiste und ganz offensichtlich … eine Vampirin war!
    Der Gedanke war mehr als befremdlich, denn er implizierte ja, dass Amadeus möglicherweise die Wahrheit gesagt hatte. Gab es tatsächlich einen mystischen dunklen Zweig der Vanderborgs, zu dem auch er gehörte? Aber wenn meine Großmutter eine Vampirin gewesen war, wieso konnten dann meine Mutter und ich normale Menschen sein?
    Das war alles so schrecklich verwirrend, dass ich wirklich glaubte, an meinem Verstand zweifeln zu müssen.
    Ich unterbrach für einen Moment die Lektüre und ließ meinen Blick durch den unterirdischen Salon schweifen. Die altertümliche, doch sehr elegante Einrichtung gab mir das Gefühl, eine Zeitreisende zu sein, die plötzlich in einem völlig fremden Jahrhundert gelandet war.
    In der Schule hatte Geschichte mich eher weniger interessiert. Aber nun begann ich langsam zu begreifen, dass der Mensch in seinem Hier und Jetzt nicht in einem Vakuum lebte, sondern durch unsichtbare Fäden mit der Vergangenheit verbunden war. In uns lebten auch unsere Vorfahren weiter und ihre Geschichte war auch die unsere. Man sollte sich von ihr nicht niederdrücken lassen, aber man musste sich irgendwie zu ihr verhalten. Besonders wenn sie so plötzlich in die Gegenwart durchbrach wie bei meiner Mutter, die sich so vehement gegen die Übernahme von Gut Blankensee sträubte.
    Dieses Verhalten, diese strikte Ablehnung waren mir nach wie vor ein Rätsel, und ich hatte nicht den kleinsten Anhaltspunkt, warum sie so reagierte. Es war mir geradezu unheimlich, wie ein Mensch, den ich eigentlich zu kennen glaubte, von mir unbemerkt offenbar jahrzehntelang ein bedrückendes Geheimnis mit sich herumtragen konnte.
    Doch nun lagen diese wertvollen Aufzeichnungen vor mir, die mir die Chance gaben, herauszufinden, was damals hier geschehen war, und die Abneigung meiner Mutter gegen das Gut vielleicht zu verstehen. Ich war geradezu versessen darauf, endlich etwas über sie in der Chronik zu finden, was

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