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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Heimleiters eintrug. Sollte er die Ironie in Roberts Worten tatsächlich verstanden haben
?
    Wir hatten mit den Jugendlichen also nur Kontakt, wenn sie zum Essen ins Haupthaus kamen oder zur Arbeit zu uns geschickt wurden. Erst funktionierte alles sehr gut und die Jugendlichen schienen in der Ruhe des Gutes sogar ein wenig zu sich selbst zu finden. Die meisten waren freundlich zu uns und den Landarbeitern und ließen sich von Robert und mir die Feldarbeit und die Arbeit in Stall und Garten bereitwillig erklären. Doch bald schon fehlten immer wieder einige Mädchen und Jungen für mehrere Tage, was die Einsatzpläne recht ärgerlich durcheinanderbrachte. Tauchten sie wieder auf, wirkten sie verstört oder wiesen sogar Verletzungen im Gesicht und – soweit man das sehen konnte – teilweise auch am Körper auf. Vorwiegend handelte es sich um Schürf- und Kratzwunden und um blaue Flecken durch Prellungen, wie sie durch Schläge hervorgerufen wurden.
    Ich sprach mit Robert darüber, aber er wollte mich beruhigen und meinte, dass besonders die Jungen so einiges auf dem Kerbholz hätten und sich gewiss untereinander im Schlafsaal prügeln würden. Man sollte so etwas, im Sinne der Betroffenen, doch nicht an die große Glocke hängen.
    »Bist du blind, Robert
?
«, widersprach ich jedoch vehement. »Hat man dir das Gehirn gewaschen
?
Das sind keine Schläger und Verbrecher, sondern überwiegend Kinder von Regimegegnern, die man aus ihren Familien genommen hat, um sie umzuerziehen und den Sozialismus in ihre Köpfe zu pflanzen, notfalls zu prügeln!«
    Aber es war schlimmer.
    Es war in einer schönen Nacht, ich war hinunter zum See gegangen, um wenigstens für ein paar individuelle Momente mit mir und der Natur eins zu sein, als ich eine Gestalt beobachtete, die am Ufer durch das Schilf brach, sich ins Wasser stürzte und hinausschwamm. Die Nacht war klar, der Mond stand fast voll am Himmel und tauchte die Landschaft in sein weißes, kühles Licht.
    Ich fragte mich noch, wer um diese späte Stunde ein heimliches Bad im See nahm und ob es vielleicht einer der Heimzöglinge war, der sich diese herrliche Erfrischung gönnte, als mir der Schwimmstil ein wenig eigenartig vorkam. Wie das Paddeln eines Hundes … ein eher hilfloses Herumrudern mit allen Gliedmaßen … das immer müder zu werden schien. Plötzlich schlug die Gestalt mehrmals heftig um sich und verschwand dann für Sekunden unter der Wasseroberfläche … Sie tauchte noch einmal kurz auf und versank.
    Ohne nur eine Sekunde zu zögern, legte ich in fliegender Hast mein Kleid ab und stürzte mich vom Steg kopfüber in den See. Mit wenigen kräftigen Schwimmstößen erreichte ich die Stelle, wo der nächtliche Schwimmer verschwunden war und wo er prustend, spuckend und mit den Armen um sich schlagend soeben noch einmal an der Oberfläche auftauchte. Nun erkannte ich, dass es sich um ein Mädchen handelte. Es klammerte sich sofort panisch an mich, sodass es mich fast mit hinuntergezogen hätte. Doch es gelang mir, meine vampirischen Kräfte zu mobilisieren und es in einen Rettungsgriff zu nehmen, sodass ich es schwimmend ans Ufer bringen konnte.
    Wasser speiend und hustend schlug es allerdings auch dort weiter um sich, bis ich es schließlich mit meinen Armen wie in einem Schraubstock umklammerte und es so zwang, sich zu beruhigen. Es war offensichtlich, dass es davonlaufen wollte, nachdem ichseine Absicht, sich im See zu ertränken, vereitelt hatte. Schließlich jedoch atmete es gleichmäßiger und ich konnte meinen Griff lockern. Ich strich ihm das nasse Haar aus der Stirn und sah, dass es sehr hübsch war.
    »Wie heißt du
?
«, wollte ich wissen.
    »Sabine.«
    »Warum tust du so etwas, Sabine
?
«, fragte ich verständnislos. »Warum wirfst du dein Leben weg?«
    »Ich kann nicht mehr … Ich gehe nicht mehr zurück ins Heim … nie mehr! Lieber bin ich tot!«
    Sabine sagte das mit einer Entschiedenheit, die ich einer Selbstmörderin nicht so ohne Weiteres zugetraut hätte. Allerdings musste man, um einen solchen Schritt zu tun, wohl wirklich mit der Welt abgeschlossen haben. Dennoch …
    »Ich weiß, der Ton ist rau im Heim … und die Arbeit hart … aber das geht doch vorbei. Wenn du dich gut führst …«
    Sie fiel mir ins Wort. »Gut führen
?
Ich habe mich gut geführt! Und zur Belohnung vergreift sich der Heimleiter an mir, wann immer es ihm gefällt. Er ist unersättlich und quält mich jede Nacht mit seinen Perversionen. Er zwingt mich, auf sein Zimmer zu

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