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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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aufgenommen, hatte ihm ein Heim gegeben. Ryans Arbeit bestand darin, die Kinder zu betreuen, die in unregelmäßigen Abständen ins Haus kamen, und sich strikt an die Regeln zu halten. Das sollte nicht weiter schwer sein – unter normalen Umständen. Stattdessen hatte er sich nun von Cody provozieren lassen, seinen Mut unter Beweis zu stellen.
    Dumm.
    Ryan wünschte, er wäre wieder in seinem Zimmer, würde wohlig und in Sicherheit in seinem Bett liegen. Jetzt aber war es zu spät. Denn nun, da er Traders Stimme hörte, war die Vorstellung, ein zweites Mal den langen Korridor entlangzuschleichen und vielleicht erwischt zu werden, viel zu beängstigend. Er hatte keine andere Wahl, er musste in seinem Versteck bleiben. Und warten. Bis der General in seine Privatgemächer ging. Und Trader wieder wegfuhr.
    Ryan kauerte sich zusammen.
    Trotz seiner Angst, trotz der Hitze und der beängstigenden Stimmen fiel er in einen unruhigen Schlummer.
    Er war wieder ein kleiner Junge. Eine Frau, die er nicht erkannte, hielt ihn auf dem Schoß. Sie wiegte ihn sanft, ihre Stimme war beruhigend und vertraut.
    Hush, little baby, don't you cry …
    Die Frau hatte eine süße, sanfte Stimme. Und sie roch nach Babypuder und Salben. Er kannte sie, er musste sich unbedingt an ihren Namen erinnern …
    Mit einem Ruck fuhr Ryan auf. Das Wort boy ging ihm noch im Kopf herum. Gleichzeitig merkte er, dass der General nun die Stimme erhoben hatte.
    »Mir gefällt das nicht. Sie hätten ihn nicht so früh herbringen dürfen. Der Botschafter kehrt nicht vor Dienstag zurück.«
    »Ich hatte keine andere Wahl.« Obwohl beide nun lauter sprachen, war Traders Stimme ruhiger. »Der Junge war schwer zu kriegen. Als sich endlich die Gelegenheit bot, habe ich zugegriffen. Später wäre es nicht mehr möglich gewesen.«
    Sie sprachen von Cody. Ryan rutschte ein wenig tiefer und drückte ein Ohr fest ans Metallgitter.
    »Es war schon in allen Nachrichten«, bemerkte der General. »Das FBI befasst sich bereits mit dem Fall.«
    »Die Medien haben die Nase voll von der Story. Jetzt geht's um das Mädchen. Für den Jungen interessiert sich keiner mehr. Seine Mutter ist allein. Eine Nutte. Das FBI wird sich schon bald einem wichtigeren Fall zuwenden.«
    »Ich hoffe, Sie haben Recht.«
    »Aber sicher. Wenn der Botschafter abfliegt, wird auch der junge im Flieger sein.«
    Ryan wich von dem Lüftungsschacht zurück. Sein Herz pochte vor Mitleid mit Cody.
    Er selbst hatte schon einige Besitzer erlebt, war aber nie nach Übersee verkauft worden. Kinder wie Cody allerdings, blonde oder rothaarige Kinder, waren aufgrund ihres Aussehens in manchen Ländern eine Menge wert. Und wenn Cody Sanders erst im Ausland war, würde man nie wieder etwas von ihm hören.
    Auf der anderen Seite der Wand trat nun eine lange Pause ein. Dann erklang wieder die Stimme des Generals: »Er wird …«
    Den Rest des Satzes verstand Ryan nicht. Er presste das Ohr noch fester ans Lüftungsgitter, doch der General sprach zu leise.
    Plötzlich traf ihn ein furchtbarer Hieb an der Schläfe. Taumelnd ging Ryan zu Boden. Er stöhnte und schaute zu der dunklen Gestalt auf. Der Schlag hatte seine Sicht getrübt, doch er wusste auch so, wer …
    Trader beugte sich hinunter, griff in Ryans Haar und zog ihn auf die Knie.
    Ryan versuchte, etwas zu sagen.
    Der nächste Schlag traf seinen Wangenknochen. Ein schwerer Silberring schnitt in Ryans weiches Fleisch.
    Ryan fiel auf den Boden und spürte, wie ihm sein warmes Blut übers Gesicht lief. Er rollte sich zur Seite und drückte sich zitternd gegen die Wand.
    »Steh auf.«
    Ryan schüttelte den Kopf. In seiner Brust hämmerte es. Er wünschte sich, die Wand möge sich auftun und ihn verschlucken.
    Er würde sterben. Hier und jetzt.
    Trader trat einen Schritt auf ihn zu. Ryan wimmerte, drückte sich gegen die Wand, versuchte verzweifelt aufzustehen. Er hatte es halb geschafft, als Traders Faust mit schrecklicher Wucht sein Kinn traf.
    Ryan versuchte fortzukriechen, doch Trader folgte ihm und trat ihm mit dem Stiefel in die Rippen.
    »Bitte …« Tränen strömten über Ryans Wangen und vermischten sich mit seinem Blut.
    »Willst du sterben, Junge?« Trader versetzte ihm einen weiteren Tritt.
    Ryan schrie auf und rollte sich wie ein Fötus zusammen. Ein messerscharfer Schmerz fuhr durch seine Brust. Das Atmen bereitete ihm Mühe, doch mühsam brachte er hervor: »Nein.«
    »Lüg mich bloß nicht an. Muss ich diese Lektion

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