Die dunkle Göttin
auf. Die Feste war auf einem offensichtlich künstlichen Hügel errichtet worden, nicht auf felsigem Untergrund. Damit erhob sie sich zwar über der Ortschaft und gewährte von ihren Türmen aus einen weiten Blick ins Land, aber solch ein Erdhügel war sehr leicht zu
unterhöhlen, falls sich unbedingt jemand diese Mühe machen wollte.
Kaum eine Woche, nachdem sie Kalatha verlassen hatte, trieb sie Wölkchen jetzt die sanfte Steigung nach Thalar hinauf. Natürlich hatten die Leute, die diese Burg gebaut hatten, als Feinde vermutlich ihre Sothôii Volksgenossen oder möglicherweise die Pferdediebe im Sinn gehabt. Und weder die kavallerieversessenen Sothôii noch die recht schlichten Hradani hätten die Schwächen der Burg ausnutzen können, die für Kaeritha so augenfällig waren. Laut Domina Yalith hatte die Feste Thalar wenigstens dreimal ernsthaften Angriffen während der Zeiten der Zerrüttung im Reich der Sothôii widerstanden.
Trotz ihrer geringen Größe verglichen mit Balthar wirkte die Ortschaft Thalar recht wohlhabend. Es gab zwar nur wenig Häuser mit mehr als zwei Stockwerken, doch alle Gebäude, die Kaeritha sehen konnte, waren gut in Stand gehalten und sauber. Trotz des unaufhörlichen Frühlingsregens hatten die Bauern ihre Felder gepflügt. Das erste Getreide steckte seine grünen Köpfe aus der fruchtbaren, schwarzen Ackererde. Und natürlich gab es überall Koppeln, Trainingsarenen und Ställe von Trisus Hengstzucht.
Die Arbeiter auf den Feldern blickten von ihrer Beschäftigung auf und musterten Kaeritha, als sie auf Wölkchen an ihnen vorbeitrottete. Wie Thalar selbst sahen auch sie stämmig und gut genährt aus, wenn auch nicht geradezu wohlhabend. Beinahe widerwillig musste Kaeritha zugeben, dass, so wie es aussah, Trisu für seine Untergebenen und seinen Besitz ausgezeichnet sorgte, welche Fehler er sonst auch haben mochte.
Der Zustand der Straße zur Feste Thalar war ein wenig besser als der des schlammigen Pfades, dem Kaeritha über die Ebene des Windes gefolgt war. Dafür war sie mindestens ebenso dankbar wie Wölkchen. Die Stute bewegte sich schneller, als sie das Ende der Reise witterte. Zweifellos sehnte
sie sich nach einem warmen Stall und ein paar Portionen Haferkleie.
Kaeritha lachte leise bei diesem Gedanken, zügelte jedoch ihr Pferd, als sie sich dem äußeren Torhaus der Festung näherte und ein Hornsignal ertönte. Dieses Zeichen erkannte sie sofort. Es war die formelle Aufforderung, stehen zu bleiben und sich zu erkennen zu geben. Es war, gelinde gesagt, höchst ungewöhnlich, dass ein einzelner Reiter so begrüßt wurde. Sie sah jedoch die mindestens sechs Bogenschützen auf dem Wall. Unter diesen Umständen war es wohl das Klügste, zu gehorchen.
Sie trabte weiter und hielt Wölkchen unmittelbar vor dem Schatten des Torhauses an. Als der behelmte Kopf eines Offiziers auf den Zinnen über ihr auftauchte, blickte sie zu ihm hinauf.
»Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr in der Feste Thalar?«, schrie der Offizier herunter. Er konnte wohl nichts dafür, dass seine näselnde Bassstimme jammernd und übellaunig klang.
»Ich bin Dame Kaeritha Seldanstochter«, erwiderte sie mit ihrer klaren, tragenden Sopranstimme. Sie hütete sich zu lächeln, als der behelmte Kopf überrascht ruckte, weil sein Besitzer eine Frauenstimme hörte. »Und außerdem Paladin des Tomanâk«, fuhr Kaeritha fort. Sie musste ein Kichern unterdrücken, als sie sich ausmalte, welche Wirkung diese Worte wohl erst auf den Mann haben mussten. »Ich möchte Lordhüter Trisu von Lorham sprechen, in einer Angelegenheit des Kriegsgottes«, schloss sie freundlich und wartete geduldig auf die Wirkung ihrer Worte.
Auf den Zinnen herrschte einen Augenblick lang gelähmte Bestürzung. Dann gab sich der Offizier, der sie angerufen hatte, offensichtlich einen Ruck, fuhr herum und blaffte einem der Bogenschützen einen Befehl zu. Der Mann ließ sich nicht einmal die Zeit, den Befehl mit einem Nicken zu bestätigen, sondern rannte davon. Der Offizier wandte sich wieder an Kaeritha.
»Ihr
sagtet doch, Ihr wärt ein
Paladin des Tomanâk, richtig?«, fragte er zögernd.
»Gewiss«, antwortete Kaeritha. »Der immer noch darauf wartet, dass ihm Einlass gewährt wird.«
»Ja, also
« Der Offizier war sichtlich verlegen. Er hatte offenbar nicht die geringste Ahnung, wie er verfahren sollte, wenn er es mit dem absurden, selbstverständlich vollkommen unwahrscheinlichen Fall zu tun hatte, dass eine Frau vor seinem
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