Die dunkle Göttin
der Rest der Stadtversammlung ihr Bestes geben oder gute Absichten haben, sich aber leider irren. Nur Die Stimme macht diese Fehler nicht. Auch das habe ich schon gesehen. Zwar nicht persönlich, aber ich habe in meinem Geschichtsunterricht gut aufgepasst, Dame Kaeritha. Ich glaube, das ist ein Versuch, die Autorität der Frauen zu untergraben, die Kalatha regieren. Entweder ist Die Stimme aus irgendeinem
Grund daran beteiligt oder aber eine dritte Partei benutzt sie für ihre Zwecke.«
»Verstehe.« Kaeritha betrachtete Leeana einen Augenblick lang und zuckte dann mit den Schultern. »Gibt es noch etwas?«
Leeana wich ihrem Blick voller Unbehagen aus. Sie wirkte fast verlegen. »Offenbar versuchen die Kriegsbräute, die mir aufgefallen sind, sehr heftig jüngere Kriegsbräute zu rekrutieren. Wahrscheinlich habe ich auch deshalb trotz der kurzen Zeit, die ich erst hier bin, so viel gehört. Dass ich Vaters Tochter gewesen bin und das bleibe, bis meine Probezeit vorbei ist, scheint mich in ihren Augen wertvoller zu machen. Vielleicht glauben sie ja, ich wäre so jung und unerfahren, dass man mich leicht beeindrucken und überzeugen kann.
Und«,wieder sah sie Kaeritha an, »einige der anderen Dinge, die sie über Die Stimme sagten, waren mir
sehr unangenehm.«
»Was denn, zum Beispiel?«, wollte Kaeritha wissen.
»Es ist einfach
ich glaube
« Leeana errötete leicht. »Ich habe nicht erwartet, dass Die Stimme der Lillinara so
unmoralisch sein könnte.«
»Unmoralisch?« Kaeritha unterdrückte ein Grinsen, doch Leeanas Röte in den Wangen vertiefte sich.
»So unschuldig bin ich nicht, Dame Kaeritha«, fuhr das junge Mädchen hoch. »Ich bin immerhin auf einer der größten Hengstzuchthöfe des Königreichs aufgewachsen! Also ist mir sehr gut bekannt, was zwischen Mann und Frau vorgeht, vielen Dank. Wenigstens«, fuhr es fort, als Kaeritha ihr Lachen nicht mehr zurückhalten konnte, »weiß ich alles, was es zu wissen gibt, ohne dass ich selbst
das heißt
ich will sagen
ach, Ihr wisst genau, was ich meine!«
»Ja, Leeana«, lenkte Kaeritha etwas zerknirscht ein. »Ich weiß, was Ihr meint.«
»Also«, fuhr Leeana besänftigt fort, »mich irritiert, dass dieselben Leute, die so stolz über die politischen Ansichten Der
Stimme sind, auch darüber sprechen, wie freizügig ihre Haltung zu
anderen Dingen wäre.«
»Leeana«, antwortete Kaeritha bedachtsam. »Lillinara fordert keine Enthaltsamkeit von Ihren Stimmen. Einige von ihnen legen zwar von sich aus ein Keuschheitsgelübde ab, wenn sie den Ruf erhalten, Ihr zu dienen, aber das ist etwas anderes. Es ist eine persönliche Entscheidung, mit der sie sich von anderen Bedürfnissen und Wünschen befreien, um sich ausschließlich auf Sie konzentrieren zu können. Und es gibt auch sehr unterschiedliche Meinungen darüber, ob Lillinara selbst das billigt. Ihre Stimmen können keine Jungfrauen sein. Sie ist die Göttin der Frauen, aller Frauen, nicht nur die Schutzpatronin der Jungfrauen. Und Sie hat das Gefühl, dass Ihre Kirche und Ihre Priesterinnen auch Erfahrung in den Fragen haben sollten, in denen sie Ihre Anhänger beraten.«
»Wirklich?« Leeana dachte eine Weile darüber nach und nickte schließlich. »Das klingt einleuchtend«, erklärte sie dann mit der Entschiedenheit der Jugend.
»Was bin ich froh, dass Ihr es billigt«, murmelte Kaeritha. Das Mädchen errötete wieder, grinste dann jedoch.
»Andererseits«, fuhr Kaeritha fort, »klingen Eure Worte so, als meintet Ihr etwas, was noch viel weiter geht als dies.«
»Das stimmt.« Leeanas Miene blieb nachdenklich. Sie legte den Kopf auf die Seite und sah Kaeritha an. »Darf ich Euch eine Frage stellen, Dame Kaeritha?«
»Natürlich.«
Das Mädchen zögerte trotz der prompten Einladung noch einen Augenblick.
»Ich frage mich, wie die anderen Götter das sehen«, sagte sie schließlich langsam und ließ den Blick über das Grundstück vor der Übungshalle gleiten. »Ihr seid ja ein Paladin des Tomanâk. Wie sieht Er denn das?«
»Das Zölibat?« Kaeritha lachte leise. »Ich will es so ausdrücken: Als Gott der Gerechtigkeit würde Er es sicher für sehr ungerecht halten, wenn Er von seinen Gefolgsleuten verlangte,
einer Sache abzuschwören, die so wichtig für uns Sterbliche ist. Wie Lillinara erwartet Er dennoch, dass wir nicht leichtfertig damit umgehen, und Er wünscht natürlich, dass wir die Konsequenzen und Verantwortung erkennen, die daraus erwachsen können.
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