Die dunkle Göttin
dass Ihr uns nur sagen könnt, was sein könnte, nicht aber das, was ist?
In der Frage des Windrenners lagen weder Trotz noch Respektlosigkeit. Er nahm das, was Tomanâk gesagt hatte, hin wie ein Jährling die Urteile und Erklärungen seines Leithengstes. Er suchte einfach nur eine Erklärung, und verlangte nicht, dass Tomanâk rechtfertigte, was Er gerade gesagt hatte.
Die Sterblichen denken in Begriffen von Ursache und Wirkung , erwiderte Tomanâk. Insofern das die Angelegenheiten der Sterblichen betrifft, ist dies auch ganz nützlich, um sich begreiflich zu machen, was sie erleben. Aber in Wahrheit hat eine Ursache nicht eine feste, unumstößliche Wirkung, wie Sterbliche gern annehmen. Alle möglichen Ergebnisse einer
Tatsache oder eines Ereignisses sind ebenso wirklich und gültig, Walsharno. Sterbliche beobachten und erfahren allerdings nur eines dieser Ergebnisse, wenn das sich bewegende Fenster ihrer Wahrnehmung über den Augenblick der Auflösung gleitet. Doch die anderen sind ebenfalls gegenwärtig und wirklich, und zwar sowohl das Davor als auch das Danach dieses Ausschnittes, den die Sterblichen als Jetzt bezeichnen.
Ich glaube, mir brummt der Schädel , bemerkte Bahzell trocken. Tomanâk lachte mitfühlend. Wenn ich Dich recht verstanden habe, fuhr Bahzell fort, sagst Du, dass alles, was wir für vergangen halten, gar nicht geschehen ist? Dass wir es uns nur einbilden, weil wir nicht die Augen oder den Verstand haben, um wirklich wahrnehmen zu können, was sich ereignet hat?
Nein , widersprach Tomanâk. Das Schwierige ist, dass den Sterblichen der richtige Bezugspunkt fehlt, um sich alles vorstellen zu können, was in dem geschieht, was sie das Jetzt oder die Wirklichkeit nennen. In gewisser Weise macht euch das so wertvoll bei diesem Ringen zwischen Licht und Dunkel, Bahzell. Auf eine Weise, die ich dir nicht erklären kann, eben wegen unserer unterschiedlichen Bezugspunkte, beschreiben und deuten Sterbliche die Ereignisse und werden am Ende entscheiden, ob das Licht oder das Dunkel im Universum triumphiert. Das tun sie genau durch diesen Rahmen oder das Fenster, das sie einer Wirklichkeit aufzwingen, die sie nicht einmal gänzlich erfassen.
Offenbar bemerkte er Bahzells und Walsharnos Verwirrung.
Stellt es euch so vor, fuhr er fort. Geschichte ist eine Schöpfung der Sterblichen, eine Prozession von sterblichen Erfahrungen, die sich durch die miteinander verbundene Vergangenheit und Zukunft bewegt. Sie
wählt aus, welches Ergebnis sich aus dem Zusammenprall aller möglichen Ursachen und aller möglichen Wirkungen für jedes einzelne Ereignis ergibt. Das Wort bis ist ebenfalls eine Kreation der Sterblichen. Eine Konsequenz
daraus, wie ihr Zeit und Ereignisse erlebt, aber bis zu diesem Augenblick, in dem ein Sterblicher ein Ereignis wahrnimmt, existieren alle möglichen Ergebnisse gleichberechtigt nebeneinander. Wenn Ihr es gern so sehen wollt, könntet ihr auch sagen, die Wahrnehmung jedes einzelnen sterblichen Wesens schafft ihr eigenes Universum für jedes Ergebnis jedes Ereignisses.
In diesem Fall, dachte Walsharno bedächtig, muss es ja so viele Universen geben, wie es mögliche Ergebnisse gibt.
Ganz recht , antwortete Tomanâk gelassen, als wäre diese unfasslich komplexe und absurde Konsequenz vollkommen einsichtig. Wie ich dir schon erklärte, Bahzell, das Licht und das Dunkel sind in einen Kampf verstrickt, der sich über mehr Universen erstreckt, als du dir vorstellen kannst. Die Sterblichen haben nur einfach nicht begriffen, dass sie selbst es sind, die diese Universen schaffen. Am Ende der Zeiten wird eine Bilanz gezogen und das Übergewicht der Universen, in denen das Licht oder das Dunkel triumphiert haben, das Schicksal aller Universen bestimmen.
Jetzt weiß ich, dass mir der Schädel brummt, dachte Bahzell nach einem Augenblick. Aber wenn ich zumindest auch nur einen Fetzen von dem verstanden habe, was Du uns erzählt hast, so ist der Grund, aus dem Du uns nicht sagen kannst, was geschehen wird, derjenige, dass wir mit unserem Fenster den entsprechenden Augenblick noch nicht erreicht haben?
Genau, stimmte Tomanâk ihm zu. Aber das ist noch nicht einmal alles. Sterbliche glauben, wir Götter sehen alles in Zeit und Raum und könnten, wenn wir wollten, ihnen erzählen, was geschehen wird. Das trifft nur teilweise zu. Wir sehen zwar alles in Raum und Zeit, aber gerade weil wir um alle möglichen Ergebnisse wissen, können wir den Sterblichen nicht
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