Die dunkle Horde - Die Troll-Saga ; [5]
sehen: große Herden von Beutetieren und ganze Trollstämme, die sich an ihnen labten. Er erinnerte sich an den bitteren Hunger der letzten Wochen, und dann sah er wieder die tote Sippe.
»Die Bewohner der Ebenen sind schwach, und dennoch haben sie viel mehr als wir Trolle. Sie können nicht jagen und nicht kämpfen, und dennoch essen sie jeden Abend Fleisch. In der Kälte verhungern ganze Trollsippen, während sie am warmen Feuer sitzen und fressen und fressen und fressen.«
Wieder schwieg Israk einen Augenblick, bevor er leiser fortfuhr: »Ich sage: Es ist an der Zeit, dass wir Trolle uns holen, was uns zusteht.«
Einer seiner Jäger legte den Kopf in den Nacken und heulte triumphierend. Andere fielen ein, und plötzlich bebte die Höhle vom Brüllen, Heulen und Stampfen aller Trolle.
Neben Ruk schlug sich Karn mit der Faust auf die Brust und grölte, und mit einem Mal hob auch Ruk den Kopf und schrie all seinen aufgestauten Zorn aus sich heraus.
6
D er leise, monotone Singsang umschloss sie in der Dunkelheit. Auf ihm trieb sie empor wie auf einem wirbelnden Herbstblatt, dem Licht entgegen. Er war beruhigend, angenehm; er fühlte sich nach Heimat und Geborgenheit an.
Und doch brachte er sie in ein Land der Schmerzen. Als ihr Bewusstsein wiederkehrte, war jähe Qual das Erste, was sie begrüßte.
Etwas Kühles, Feuchtes glitt über ihre Haut, strich ihr über Stirn und Augen, nahm dem Feuer in ihrem Kopf ein wenig von seiner Wildheit. Sie öffnete die Augen und erblickte Narem vor sich. Der Krieger hielt ein nasses Tuch in der Hand, heller Stoff mit dunklen Flecken: Blut.
Deilava griff sich an die Schläfe, fand ihre Haare seltsam steif und fest. Verkrustet mit Blut.
»Du solltest vorsichtiger sein«, ermahnte Narem sie mit einem Lächeln. »Immer mit dem Kopf voran in die Gefahr, da bleibt es nicht aus, dass er schmerzt.«
Obwohl er die bittere Wahrheit sprach, musste Deilava lachen. Die Bewegung sandte einen feurigen Stich in ihren Geist, und sie kniff die Augen zusammen.
Der Gesang dauerte an, war fast wie ein natürliches Geräusch, wie der Wind, der durch Baumwipfel strich, oder das Murmeln eines Baches. Er brachte Kühle in ihren Geist, verdrängte langsam die Schmerzen, ließ die lodernden Flammen schrumpfen und ersticken.
Überall um sie herum musste es den Verletzten ebenso ergehen, Freund wie Feind. Die Geister machten keine Ausnahmen, unterschieden nicht. Man rief sie an, und wenn sie dem Ruf Folge leisteten, dann für alle.
»Wir haben den Sieg davongetragen«, beantwortete Narem die Frage, die Deilava auf dem Herzen lastete, die sie aber noch nicht formulieren konnte. Er hielt ihr eine flache Schale an den Mund, und sie trank vorsichtig einen Schluck lauwarmen Wassers.
»Gut«, flüsterte sie. »Dann haben wir es also geschafft.«
»Ja.«
Vier Jahre lang hatten sie Seite an Seite gekämpft, seit jenem Tag, als das erste Dorf der Tuun ein Raub der Flammen geworden war. Deilava hatte viel Leid gesehen, zu viele Tote, zu viel sinnlose Grausamkeit und Gewalt. Jetzt würde es damit ein Ende haben.
Noch einmal atmete sie tief durch, dann sah sie sich um. Der Morgen dämmerte. Noch war der Himmel von einem farblosen Grau, das alles einzuhüllen schien, doch am Horizont zeigte sich bereits eine helle Linie und kündigte den nahenden Tag an. Es brannten nur mehr wenige Feuerschalen. Die Schatten waren tief und gnädig, verbargen das Schlimmste.
In einer Mauerecke lagen diejenigen, die Deilavas Glück nicht teilten. Es war dort zu düster, um einzelne Gesichter zu erkennen, doch es waren viele. Narem hatte die erschlagenen Zwerge direkt neben die eigenen Toten schaffen lassen. Jetzt gab es keine Unterschiede mehr; sie alle wandelten nun in der Welt der Geister.
Überall im Hof aber standen und saßen die Überlebenden. Wunden wurden versorgt, einige tranken, andere aßen sogar. Es war ein verwirrender Anblick von Normalität. Deilava setzte sich auf und wartete einen Moment, bis sie nicht mehr das Gefühl hatte, der Boden würde schwanken.
»Langsam«, ermahnte Narem sie. »Du hast einen ordentlichen Schlag abbekommen.«
Sie lächelte schwach, ignorierte seinen Rat jedoch und schob sich an der Mauer neben ihr hoch. Der Stein war kühl von der Nacht, und er gab ihr Halt.
Stehend konnte sie den Kampfplatz besser überblicken. Irgendjemand hatte sich die Mühe gemacht, Stroh auf dem Boden zu verstreuen, was die schlimmsten Blutlachen verdeckte. Dennoch roch es immer noch nach Angst und Tod.
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