Die dunkle Horde - Die Troll-Saga ; [5]
spät dieses Jahr. Erst vor zwei Wochen war der Schnee geschmolzen, jetzt waren die ersten Knospen zu sehen. Den Gestank der brennenden Festung hatten sie längst hinter sich gelassen, und nun roch es nur noch nach Wald, nach Pflanzen und Erde.
Deilava genoss dieses in der Luft liegende Gefühl von Neubeginn. Es vertrieb die letzten Schmerzen aus ihrem Leib, so wie der Frühling die Kälte vertrieb. Sie fühlte sich frisch, trotz der Anstrengungen der Nacht. Das Summen der Insekten klang in ihren Ohren verheißungsvoll. Es kündigte ein neues Jahr an, ohne Krieg und Kämpfe.
Lediglich ein schmaler Pfad führte durch das Unterholz. Den Weg, den die Zwerge geschlagen und bewacht hatten, hatte niemand nehmen wollen. Schon bald würde der Wald ihn zurückverlangen, Sträucher und Büsche würden auf ihm wachsen, und in ein oder zwei Jahren würden nur noch die geschicktesten Waldläufer überhaupt erkennen, dass es ihn einst gegeben hatte. Die Mauern der Festung würden länger Bestand haben, auch wenn die Gebäude jetzt niederbrannten. Aber irgendwann würden auch sie vergehen, umstürzen und von Pflanzen überwuchert werden. Die Natur würde die Wunden heilen, die ihr zugefügt worden waren. Und Deilava hoffte, dass Entsprechendes auch für sie und ihre Gefährten galt.
Als sich der Wald weiter lichtete, trabten die Keibos schneller, und ihr Elan zog alle mit sich. Schließlich gaben die Bäume die Sicht auf die weite Ebene frei. Ein letzter Streifen mit dichten Büschen und Farnen musste überwunden werden, dann ließen sie auch die Ausläufer des Waldes hinter sich und standen unter freiem Himmel.
Ein frischer Wind wehte von Süden, fuhr flüsternd durch das Gras, das Deilava fast bis zur Hüfte reichte. Ein Keibos legte den Kopf in den Nacken und ließ ein lautes Jauchzen ertönen, das Deilava ein Lächeln entlockte.
Ein junger Keibos kam auf sie zu. Sein Name war Aleitos, und bis vor Kurzem war er der Sohn ihres Häuptlings gewesen; nun war er der Anführer, denn sein Vater war beim ersten Sturm auf die Feste gefallen. In seinem Gesicht mischte sich Freude über die Heimkehr mit Trauer über seinen Verlust. Dunkle Bahnen von Schweiß zeigten sich an seinen Flanken, färbten sein dunkles Fell noch dunkler.
Mit in die Seite gestützten Armen hielt er vor Narem inne. Einige Augenblicke lang regten sich beide nicht, sondern sahen einander nur in die Augen, was unter den Keibos ein Zeichen von Respekt war. Dann strich sich Aleitos mit dem Daumen der rechten Hand vom Hals bis zum Bauch, um sich zu verabschieden. Narem erwiderte die ungewohnte Geste.
»Wir bringen die Verwundeten zu ihren Völkern zurück«, erklärte Aleitos mit seiner tiefen Stimme, ehe er mit Verachtung im Blick auf die Gefangenen deutete. »Jene dort sind nun eure Bürde.«
»Mögen die Geister auf eurem Weg über euch wachen. Ich bin stolz, an eurer Seite gekämpft zu haben.«
Deilava hörte am Zittern in Narems Stimme, dass dies keine Floskel war. Aleitos sagte darauf nichts, sondern wandte sich einfach ab, aber sie wusste, dass es nicht unhöflich gemeint war; die Keibos gaben nicht viel auf Worte. Aleitos hatte nicht widersprochen und somit Narem zugestimmt.
Ein letztes Mal traten die Kriegerinnen und Krieger der verschiedenen Völker zusammen, verabschiedeten sich. Gefährten, die einander viele Monde lang beigestanden hatten, gingen nun getrennter Wege, und niemand wusste, ob man einander jemals wiedersehen würde.
Manche, wie die Onoi, drückten ihre Gefühle lautstark aus, aber Deilava blieb wie die anderen Elfen ruhig. Der Lauf der Zeit, der Gang der Gestirne, Leben und Tod, Freude und Trauer waren Ereignisse, die so wenig zu beeinflussen waren wie dieser Abschied. Sie versprach sich, nur an die guten Zeiten zu denken, wenn sie sich an ihre Gefährten erinnerte, und jene in Ehren zu halten, die nun auf den Pfaden der Geister wandelten.
Dann schließlich fanden sich die Elfen nur unter sich wieder.
»Auch für uns ist die Zeit gekommen«, stellte Narem ruhig fest. »Der Wind des Krieges hat uns von überall her zusammengeweht und von einem Ort zum nächsten. Wir mussten uns von ihm treiben lassen. Doch nun ist er verstummt, und unser Schicksal ist wieder unser eigenes.«
Sie versammelten sich um ihn herum.
»Aus über zwanzig Sippen sehe ich hier Kriegerinnen und Krieger. Wir kehren ins Herz des Waldes zurück, ein jeder zu seiner Familie. Nach und nach wird die Gemeinschaft aufbrechen und schrumpfen, bis von ihr nur noch
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