Die dunkle Horde - Die Troll-Saga ; [5]
streckte seine Arme aus, und sie ergriff seine Hände. Die Innenflächen waren rau, aber sein Griff sanft, die Haut warm.
»Du hast mir alles beigebracht«, sagte Deilava. »Du hast mich beschützt und mich gelehrt zu überleben.«
Sie wollte noch so viel mehr sagen. Wollte die guten Erinnerungen mit ihm teilen, ihm künftige Besuche versprechen. Doch sie schwieg, geradeso wie er. Dennoch wusste sie, dass er verstand, auch ohne Worte.
Sie standen im Zwielicht, inmitten des ewigen Waldes, sahen einander in die Augen. Dann öffneten sich seine Finger, und ihre Hände entglitten den seinen. Der Trauer in seinen grünen Augen trotzend, lächelte er.
»Jeder Abschied ist auch ein Anfang. Du kehrst nach Hause zurück, der Kreis schließt sich für dich. Irgendwann werden wir uns wieder begegnen, werden diesen Kreis vollenden.«
Bevor sie antworten konnte, sah er sich um. Er stieß einen hellen Ruf aus, der zwischen den Bäumen widerhallte und die verbliebenen Elfen um sie scharte, sodass sie sich auch von ihnen verabschieden konnte, ehe sie sich umdrehte und im Unterholz verschwand.
Nun war sie allein.
Zuerst lief sie langsam, fast gemächlich. Die Umgebung war ihr seltsam und unerwartet vertraut. Wenig hatte sich verändert. Buschwerk und Laub waren anders, aber der Geruch, die Bäume, jeder Felsen, jede Senke und jede Erhebung des Bodens waren wie stete Botschafter einer verlorenen Zeit.
Ihre Schritte beschleunigten sich, bis sie das letzte Stück des langen Weges rannte. Sie sprang über dicke Wurzeln, duckte sich unter Farnen hindurch, die dreimal höher als der größte Elf wuchsen, glitt durch das Unterholz, ohne ein einziges Blatt zu stören. Fast meinte sie, die Augen schließen zu können, weil ihre Füße allein den Weg kannten. Es war wie ein Rausch, als ob ein starker Wind sie vor sich herwehte. Dann sah sie die Lichtung vor sich, einen hellen Schein, und hielt unvermittelt inne.
Ihr Atem ging schnell, ihr Herz raste. Doch nichts war so wild und schnell wie ihre Gedanken. Jetzt waren andere Bilder in ihrem Geist. Erinnerungen an ihr Leben vor dem Krieg. Wie sie gejagt, gespielt, wie sie Geschichten gelauscht hatte. Die Erinnerungen waren gut, lockten sie, doch sie bewegte sich nicht.
Die Lichtung war nicht groß, keine dreißig Schritt im Durchmesser. Die Kronen der umliegenden Bäume ließen gerade genug Lücken, dass Sonnenstrahlen durch sie einfallen konnten. Helle Säulen, in denen Insekten schwirrten und man all die Schwebeteilchen sehen konnte, die in der Waldluft tanzten.
Ein Ruf löste Deilava aus ihrer Erstarrung. Er galt nicht ihr, doch das hohe, kindliche Jauchzen, das zu ihr herüberdrang, zog sie nach Hause.
Das Dorf hatte sich nicht verändert. Jemand, der es nicht kannte, vielleicht ein Nicht-Elf, hätte unter ihm hindurchgehen können, ohne es zu bemerken. Aber nicht Deilava. Die Äste der Bäume waren dick und stark, kunstvoll miteinander verwoben, fast natürlich, aber nicht ganz. Elfen hatten zu ihnen geflüstert, mit ihnen gesprochen, sie gebeten, auf eine ganz bestimmte Art zu wachsen. Es waren Wege in den Baumkronen. Manche führten wie Steige empor, andere verliefen auf einer Höhe.
Dort, wo die mächtigen Stämme sich verzweigten, waren die Kapseln. Auch hier hatte es der Geduld und des Zuspruchs der Elfen bedurft, damit die Bäume ihnen ein Heim schenkten. Manche waren hoch wie Zapfen, andere rund wie Kastanien. Sie alle bestanden aus vielen Ästen und Zweigen, dick und dünn, die in einem komplexen Muster geflochten waren, mit Blattwerk überall, sodass sie kaum von natürlichem Wuchs zu unterscheiden waren. Doch es waren die Behausungen ihrer Sippe, geschaffen aus lebendigem Holz, Geschenke des Waldes.
Jetzt sah Deilava auch Bewegung in den Wipfeln. Kinder liefen auf den Ästen umher. Eine Gestalt trug einen großen Krug auf der Schulter, duckte sich in den Eingang einer Kapsel und verschwand.
Deilava ging weiter, bis sie auf die Lichtung trat und das warme Licht der Sonne auf ihrem Gesicht spürte. Sie schloss die Augen.
Diesmal galt der Ruf ihr. Als sie emporblickte, verschwand das kleine Gesicht eines Mädchens hinter dem breiten Ast, auf dem es kniete. Deilava konnte weit über sich Stimmen hören. Am liebsten hätte sie nach ihnen gerufen, sich angekündigt, aber ihr wollten keine Worte über die Lippen kommen.
Gesichter erschienen, blickten zu ihr herab. Es dauerte einen Augenblick, aber dann rief jemand ihren Namen aus, fast schon ungläubig. Eine andere Stimme
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