Die dunkle Horde - Die Troll-Saga ; [5]
kamen, desto weniger war vom Himmel zu sehen. Die Bäume wuchsen wohl einen Pfeilschuss hoch, und ihre Kronen bildeten ein undurchdringliches Dach. Äste so dick, dass Deilava sie nicht mit ihren Armen umfassen konnte, verschränkten sich ineinander, verwuchsen zu einem Geflecht, das unfassbar stark war, sodass selbst tote Bäume, gestorben schon vor vielen Sommern, immer noch aufrecht standen, gehalten von der unablässigen Umarmung ihrer Nachbarn.
Dies war ihre Heimat, und Deilava genoss jeden Schritt im Zwielicht. Hier war ihr jedes Geräusch vertraut. Sie erkannte die Insekten an ihrem Summen, die Vögel an ihren Rufen, wusste bei jedem knackenden Zweig, jedem raschelnden Blatt, welches Tier dort verborgen umherschlich.
Sie wusste, dass es einige Völker gab, die es so tief im Wald erdrückend fanden. Sogar manche Elfen, gewöhnt an lichtere und luftigere Gegenden, bekundeten hier das Gefühl, wie eingeschlossen zu sein. Sie mochte sich kaum vorstellen, wie es den Elfen aus den Städten erging, wenn sie sich so weit in den Wald hineinwagten.
Vielleicht hatten die Zwerge deshalb manche ihrer Festungen tiefer in den Wald gebaut? Weil es sie an ihre Heimat unter den Felsen erinnerte?
Deilava verwarf diesen Gedanken so schnell, wie er gekommen war. Unter der Welt war es kalt und dunkel, von allem Leben fern, so ganz anders als in ihrer Heimat, wo alles lebendig war.
Doch so sehr sie sich auch darüber freute, wieder daheim zu sein, so sehr wuchs in ihr noch etwas anderes. Als sie den alten Melronbaum mit seinen drei verdrehten, miteinander verflochtenen Stämmen erblickte, den sie als Kind so oft emporgeklettert war, verstand sie, und die Einsicht traf sie mit einer ungeahnten Wucht. Von hier aus war es nicht weit bis zu ihrem Dorf. Eine Elfe konnte den Weg laufen, bevor die Sonne vom Ort ihres Aufgangs bis zum höchsten Punkt ihrer Himmelsbahn gezogen war. Aber das, was sie in sich spürte, war Angst. Angst vor dem, was ihre Heimkehr bedeutete. Sie würde sich von Narem und den anderen trennen und wusste nicht, was sie in ihrem Dorf erwartete. Was war geschehen, seit sie ihr Bündel gepackt und die Tiefen des Waldes verlassen hatte? Würde man sie willkommen heißen? Hatte man sie vermisst? Und würde man sie verstehen? Sie hatte vieles erlebt, vieles getan, und nun spürte sie, wie sehr sie sich verändert hatte. Aus der naiven jungen Elfe war eine Kriegerin geworden, immer noch jung nach den Maßstäben ihres Volkes, aber erfahren und von Ereignissen geprägt, die manch anderer nie erleben und verarbeiten musste.
Sie schluckte und hielt inne. Vor keiner Schlacht war sie so nervös gewesen. Beinahe hätte sie darüber gelacht, doch auch das war nur ein Auswuchs ihrer Aufgeregtheit.
»Es war nicht weit von hier«, sagte Narem unvermittelt. Er blieb ebenfalls stehen und lächelte. »Wir zogen in Richtung der Berge. Unsere Läufer hatten längst alle Sippen der Umgebung benachrichtigt, und ich war sicher, dass sich uns bereits alle angeschlossen hatten, die das wollten.«
Suchend blickte er sich um.
»Unser Lager war irgendwo jenseits des kleinen Bachs, der dort hinten zu hören ist. Ich weiß es noch genau– ich hatte einige gesandt, um uns frisches Wasser zu holen.«
Deilava nickte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dabei waren es wenige Sommer gewesen.
»Ich dachte nicht, dass uns hier bereits Gefahr droht, aber dennoch hatte ich die besten Jäger als Wachen eingeteilt. Sie hatten sich in den Bäumen verborgen oder in Büschen, so geschickt, dass nicht einmal ich sie sehen konnte. Du bist einfach so ins Lager spaziert. Ich dachte, sie hätten dich passieren lassen, aber als sie zurückkamen, waren sie von deiner Anwesenheit ebenso überrascht wie ich selbst.«
»Vermutlich hatten mich ein oder zwei bemerkt und einfach durchgelassen. Für einen Zwerg hätten sie mich sicher nicht gehalten!«
»O nein, ich habe sie alle gefragt. Da wusste ich, dass du eine außergewöhnliche Elfe bist. Und es hat sich bestätigt, wieder und wieder. Ohne dich…«
Er sprach nicht weiter.
»Jemand anders hätte meine Aufgaben übernommen. Du hättest sie zum Sieg geführt.«
»Wir hätten gesiegt, davon bin ich überzeugt, aber wir hätten mehr verloren. Noch mehr Leben wären zu früh beendet worden.«
Deilava musste an Inisa denken und sagte nichts.
»Danke.«
Narem sprach das Wort so sachte aus, dass Deilava ein Schauer über die Haut lief. Sie wandte sich ihm zu, wissend, dass nun der Moment gekommen war. Er
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