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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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derselben dunklen
Farbe.
    Verdutzt
sah Julius zu ihrem Tisch hinüber. Auf den ersten Blick hatte er sie miteinander
verwechselt und nun, als ihm sein Irrtum klar geworden war, fragte er sich, was
Sinn und Zweck dieses Schachzugs war. Denn ein Schachzug war es, darüber bestand
kein Zweifel.
    Selbst Johann
von Jänert, der erfahrene Fuchs, sah verwundert von seiner hohen Warte durch den
Saal. Bentheim vermeinte zu spüren, wie hinter der richterlichen Stirn ein Gedanke
den nächsten jagte. Doch welche Rüge konnte der Vorsitzende schon anbringen? Es
gab keine Vorschrift, die das Schneiden der Haare oder gar ihr Färben untersagte.
Und machte sich der Richter nicht lächerlich, falls er ein Ordnungsgeld aussprach,
weil jemand modische Anwandlungen hatte?
    Ohne weitere
Umschweife eröffnete Jänert die dritte Sitzung. Doch ehe er Theodor Görne das Wort
übergeben konnte, hatte sich der Verteidiger Fabian Heseler bereits erhoben. »Herr
Vorsitzender«, sagte er, »mein Klient hat mich ersucht, dem Hohen Gericht mitzuteilen,
dass er für geraume Zeit von seinem Recht, sich selbst zu verteidigen, Gebrauch
machen möchte. Ich komme dieser Bitte untertänigst nach.«
    »Wenn Sie
es mit Ihrer Standesehre vereinbaren können, soll es mir recht sein«, brummte Jänert
und erteilte dem Ankläger das Wort. Dieser rief die nächste Zeugin auf, worauf der
Richter einen Diener anwies, die Witwe Bettine Lützow in den Saal zu führen. Durch
ein Nebenzimmer betrat die ältere Frau den Raum. Mit würdevollen Schritten folgte
sie dem Gerichtsdiener und ließ sich auf dem ihr zugewiesenen Stuhl nieder. Über
dem Nasenansatz bildeten sich zwei senkrechte Furchen, da sie die Augen zusammenkniff,
um besser sehen zu können. Als Bentheim sie skizzierte, fiel ihm dies auf. Weiblicher
Eitelkeit war es wohl zuzuschreiben, dass sie ihre Brille nicht aufgesetzt hatte.
    Da Bettine
Lützow mit den anderen Zeugen zusammen schon vereidigt worden war, begann Görne
ohne Umschweife mit der Befragung. Sichtlich genoss sie es, im Mittelpunkt des Interesses
zu stehen. Ihre Haltung war penibel und steif. Ihr Rücken berührte nicht einmal
die Lehne hinter ihr. Ausführlich beantwortete sie die Fragen. Sie berichtete, was
für ein Mensch Lene Kulm gewesen sei, jung und fröhlich, das ganze Leben noch vor
sich. Sie schniefte sogar, als sie erklärte, wie untröstlich sie der Tod der jungen
Dame gemacht habe. Selbst als sie dazu überging, den Klatsch und Tratsch der Mietskaserne
nachzuplappern, der über das Scheusal Goltz umging, ließ ihr der Anwalt die Zügel
locker.
    Jeden Moment
erwartete Bentheim einen Einspruch seitens des Professors. Entweder wusste dieser
nicht, dass Berichte vom Hörensagen aus dem Protokoll gestrichen werden konnten,
oder er verfolgte eine ganz und gar wahnwitzige Strategie.
    Görne zeigte
sich mitfühlend. Er überließ der Alten, die sich dies ein Leben lang gewünscht hatte,
die Bühne und bot ihr eine noch nie erfahrene Aufmerksamkeit. Sie plauderte munter
drauflos und schilderte schließlich in den buntesten Farben die Szene, in der »das
blutbesudelte Scheusal«, wie sie Goltz unentwegt nannte, an ihre Tür geklopft hatte.
Als sich Theodor Görne in Richtung Verteidigung wandte, rieb er sich zufrieden die
Hände und meinte mit triefendem Sarkasmus in der Stimme: »Ihre Zeugin, Herr Kollege.«
    Der Professor
ging auf die Bemerkung nicht ein.
    Gleichgültig
erhob er sich und trat an den Zeugenstand. »Sehr geehrte Frau Lützow«, sprach er
sie mit übertriebener Leutseligkeit an, »können Sie den Geschworenen etwas über
die schimpfliche Beziehung zwischen Ihren Nachbarsleuten Gregor Haldern und Magdalene
Kulm erzählen?«
    »Einspruch.
Suggestivfrage.«
    »Stattgegeben.«
    »Ich formuliere
um, Herr Vorsitzender.«
    »Ich bitte
darum.«
    Goltz lächelte
freundlich, als er sich über die frisch rasierten Wangen strich. »Sie sind gewiss
eine gottesfürchtige Frau, Bettine. Eines merkt man sofort: Sie kennen sich aus
in Ihrer Heiligen Schrift.«
    Geschmeichelt
lächelte die Dame, während Görne erneut dazwischenrief: »Einspruch. Pure Spekulation.«
    »Geschenkt,
Herr Kollege«, entgegnete Goltz, fuhr jedoch unbeirrt fort: »Isebel, die Gemahlin
des Königs Ahab, war die erste Frau in der Bibel, die sich zur Mehrung ihrer Reize
der Schminke bediente«, erläuterte der Professor. »Was meinen Sie, Bettine? Könnte
man Magdalene Kulm als zweite Isebel bezeichnen?«
    »Einspruch!«,
rief Görne.
    »Ich ziehe
die Frage zurück.

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