Die dunkle Muse
Frau Lützow, erzählen Sie uns etwas über Ihre Nachbarn. Wie war
das Verhältnis zwischen Gregor Haldern und Isebel – oh, entschuldigen Sie meinen
Fauxpas. Ich meinte natürlich: Frau Kulm.«
Erregt stand
Görne auf.
»Ja, Herr
Kläger?«, meinte Jänert.
Der Staatsanwalt
suchte nach der richtigen Formulierung und setzte sich wortlos, als er sie nicht
fand.
Die Witwe,
die durch das Geplänkel zwischen den Parteien immer konfuser wurde, richtete ihr
Augenmerk Hilfe suchend auf den Gesprächspartner vor sich. Mit äußerster Konzentration
verfolgte Julius Bentheim das Wortgefecht und es war offenkundig, dass die Frau
keine Ahnung hatte, wer da eigentlich vor ihr stand. Die Kaltblütigkeit, die der
Professor an den Tag legte, rang dem Zeichner Achtung ab.
Botho Goltz
insistierte: »Nur zu, Frau Lützow, erzählen Sie!«
»Doch, doch,
eine Isebel war sie wahrhaftig. Zuweilen war es nicht auszuhalten. Aber wem sage
ich das? Immer dieses ewige Gekreische, der Lärm und die Schläge …«
»Die Schläge?«
»Grün und
blau hat er sie manchmal geprügelt. Nicht ins Gesicht. Dazu war der feine Herr zu
schlau. Aber ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Unsere Schlafzimmer befinden sich
ja Wand an Wand, da bekommt man vieles mit, was man eigentlich nicht hören möchte.
Nachdem die Lene wieder mal die ganze Nacht hindurch geheult hatte, habe ich sie
auf eine Tasse Tee eingeladen. Da hat sie mir dann alles brühwarm erzählt, das arme
Würmchen.«
»Was hat
sie Ihnen erzählt, Bettine?«
»Eben, dass
sie Angst vor ihm hatte.«
»Vor dem
Professor?«, stellte Goltz süffisant seine Frage.
»Nein, nein,
den sah sie doch viel zu selten. Vor ihrem Geliebten natürlich.«
»Mit dem
Geliebten meinen Sie Herrn Haldern?«
»Ja.«
»Keine weiteren
Fragen, Herr Vorsitzender.«
Zur Überraschung
aller Anwesenden drehte sich der dickliche Goltz um und steuerte auf die Bank mit
seinem Verteidiger zu. Abrupt hielt er inne, kam noch einmal zu Frau Lützow zurück
und meinte säuselnd: »Oh, fast hätte ich es vergessen. Eine Frage blieb bisher noch
unbeantwortet, Frau Bettine. Seien Sie doch so gütig und zeigen dem Publikum noch
den Mörder, jenes blutbesudelte Scheusal mit den roten Haaren, den Professor Goltz.«
Die Alte
kniff die Augen zusammen, reckte den Finger in Richtung Verteidiger und sagte: »Dort
drüben sitzt das Aas.« Sie spie es beinah aus.
Ein diabolisches
Grinsen huschte über die Miene des Professors. »Ich möchte ins Protokoll aufnehmen
lassen, dass die Zeugin der Anklage nicht imstande war, den vermeintlichen Totschläger
zu identifizieren.«
»Hut ab! Dieser Goltz ist ein Teufelskerl«,
entfuhr es Albrecht Krosick, als sie mit ihrer Vermieterin das Abendessen einnahmen.
Der Fotograf inspizierte das Angebot auf dem Teewagen und entschied sich für Reisbrei.
»Ja, die
Sache verspricht, spannend zu werden.«
»Sie stilisieren
diesen Mörder geradezu zum Helden. Das ist geschmacklos, wenn Sie mich fragen.«
»Mutmaßlicher
Totschlag, Frau Losch. Kein Mord.«
»Das ist
Jacke wie Hose, junger Mann. Mir scheint, Sie verehren den Täter sogar.«
»Nicht den
Täter«, protestierte Albrecht, »aber den Intellekt bei der Ausführung.«
»Es ist
schon faszinierend, wie er mir nichts, dir nichts die einzige Zeugin ausgeschaltet
hat, welche vor Ort war. Die Anwaltschaft hat nur Indizien aufzubieten«, meinte
Julius zustimmend.
»Was ist
mit dem Mann?«
»Welcher
Mann?«
»Na, dieser
Geliebte des Opfers. Wie hieß der noch mal?«
»Gregor
Haldern.«
»Ja, richtig.
Was ist mit dem?«
Interessiert
sahen die beiden Julius an.
»Der wurde
von Görne noch nicht aufgerufen. Aber ersten Verhörprotokollen zufolge soll er zur
Tatzeit tief und fest geschlafen haben. Ich war als Zeichner vor Ort. Als ich ankam,
kauerte der Kerl am Boden und murmelte Lenes Namen. Zuvor jedoch soll er fast nicht
wachzukriegen gewesen sein. Die halbe Berliner Polizei trampelt durch seinen Flur
und ihn kümmert dies nicht. Er wirkte nicht nur verstört, sondern irgendwie auch
benommen. Die Gendarmen brachten ihn sogleich zu einem Arzt.«
»Interessant.«
Amalia Losch
blickte auf ihre faltigen Hände mit den Altersflecken und meinte schließlich: »Mir
tut es um das arme Ding leid. So jung sterben zu müssen.«
»Ja, wir
hätten ihr wahrlich einen Strauß scharlachroter Rosen zur Beerdigung kaufen sollen.«
Die Alte
warf Krosick einen bösen Blick zu.
»Sie sind
ein zynischer Schelm, Albrecht. Ich weiß, was Sie da mit
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