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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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Ihrer Blumenmetaphorik
andeuten wollen. Die Symbolik ist mir durchaus bekannt. Gefallene Frauen sind aber
meistens Opfer.«
    Ungerührt
nahm der Fotograf einen Löffel Brei und meinte schmatzend: »Um das Thema zu wechseln,
mein lieber Freund Julius: Hast du die Landschaftsbilder, die Bissing von dir haben
wollte, schon fertig?«
    »Sie malen
neuerdings Landschaften?«, wandte sich Amalia an Bentheim.
    »Hohe Berge,
tiefe Täler«, antwortete Krosick an seiner statt. Julius verschluckte sich an seinem
mit Landrauchschinken belegten Brot und hustete erbärmlich.

Vierzehntes Kapitel
     
    Bis tief in die Nacht kümmerte sich
Julius um die Fertigstellung seiner Bilder. Nachdem er vom Abendbrot aufgestanden
und hinaufgegangen war, ließ er die Tür hinter sich ins Schloss fallen und drehte
den Schlüssel um. Niemand sollte unversehens ins Zimmer treten, während er damit
beschäftigt war, die Skizzen seines Aktmodells zu einem großen Ganzen zu fügen.
    Als Hintergrundbilder,
die er auf dem Boden auslegte, wählte Julius die Porträts, die Adeles Figur vollständig
zeigten, und auf ebendiesen wollte er die restlichen Skizzen deponieren. Vier Bilder
sollte es geben: Adele mit gespreizten Beinen auf dem Rücken liegend, Adele auf
dem Korbstuhl, die an die Wand gelehnte Adele und Adele von hinten, das Gesäß dem
Betrachter zugewandt. Einzig die behelfsmäßig schraffierten Stellen musste Julius
noch ausfüllen.
    Er sortierte
die naturalistisch genauen Abbildungen, ordnete sie jeweils dem passenden Porträt
zu und ging dazu über, sie sorgfältig zu kopieren. Nach und nach füllten sich die
weißen Stellen und verschmolzen zu einem makellos straffen Frauenkörper. Eine nie
gekannte Erregung erfasste den Zeichner, als er sein Werk vollendet hatte. Er stand
auf und trat zwei Schritte zurück, um auf die vierfache Adele zu blicken.
    Hastig zog
er eine Schublade seines Schreibtischs auf und kramte nach einer Grafitzeichnung,
die er vor ein paar Monaten von Filine angefertigt hatte. Auf dem Papier besaß seine
Freundin denselben Gesichtsausdruck wie Adele. In ungestümer Arbeitswut kopierte
er die Zeichnungen, die er für Bissing angefertigt hatte, und als eine nahe Turmuhr
4 Uhr in der Früh schlug, legte er den Stift endlich aus der Hand. Seine Nachbildung
war zwar eine Schimäre, das Abbild eines Wunschgedankens, aber derart plastisch
und wirklichkeitsnah, dass man meinen konnte, Filine habe ihm persönlich Modell
gestanden. Er hatte ein Zwitterwesen dargestellt, indem er den Kopf seiner Angebeteten
auf den Körper des unzüchtigen Weibsbilds gesetzt hatte.
    Bentheim
blickte abwechselnd auf Adele und Filine. Mit animalischer Gier fasste er sich in
den Schritt und bewegte die Hand auf und ab.
     
    Julius schlief bis in den späten
Vormittag. Da prozessfreier Tag war, hatte er sich vorgenommen, Filine wieder einmal
auszuführen. Ein Brief von Fanny Lewald, der während des Mittagessens abgegeben
wurde, kam ihm da gerade recht.
    »Es würde
mich freuen«, schrieb sie, »Ihre liebliche Freundin gemeinsam mit Ihnen, Herr Bentheim,
heute Abend wieder bei uns zu Gast zu wissen. Unser werter Freund Theodor plant
Ende des Monats eine ausgedehnte Familienreise an den Rhein und in die Schweiz.
Adolf und ich nehmen dies zum Anlass, unserem verehrten Dichter ein Diner auszurichten.
Heute Abend bei uns? 19 Uhr.«
    Der kleine
Junge, der die Nachricht übermittelt hatte, geduldete sich, bis Julius ein Antwortschreiben
sowie eine kurze Information an Filine aufgesetzt hatte.
    »Du stammst
doch aus dem Geheimratsviertel, oder?«
    Der Dreikäsehoch
nickte.
    »Dann kennst
du sicher Pastor Sternberg. Hier, diesen Brief gibst du bei seiner Tochter ab. Und
dieser ist für Frau Stahr-Lewald. Jetzt noch etwas Trinkgeld. Und nun zisch ab.«
    Amalia,
die alles mitverfolgt hatte, lächelte Krosick verstohlen zu. Die Vermieterin verabschiedete
sich von den Freunden mit dem Hinweis auf ihr Nachmittagsschläfchen.
    »Übrigens,
bevor ich es vergesse, Albrecht«, sagte Julius, schob den Teller zur Seite, um ein
wenig Platz zu machen, und legte seine Zeichenmappe auf den Tisch. »Ich habe eine
Tatortskizze mitgebracht, die deinem Kunstverstand zufolge einen kapitalen Bock
aufweist. Kannst du mir erklären, was an der Zeichnung falsch ist?«
    Er reichte
dem Fotografen das Blatt über den Tisch.
    Krosick
warf einen Blick darauf und meinte: »Der Stuhl. Die Proportionen stimmen nicht.«
    »Wieso?
Was ist damit?«
    »Er ist
entweder zu groß oder du hast ihn im

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