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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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und behält es sich
vor, die Zeugen, so sie denn aufgerufen werden sollten, einzeln zu vereidigen. Kann
ich davon ausgehen, dass die Vertreter der Anklage besagte Liste ebenfalls erhalten
haben?«
    Theodor
Görne erhob sich. »Jawohl, Herr Vorsitzender.«
    »Ausgezeichnet.
Somit übergebe ich Ihnen gleich das Wort, Herr Anwalt.« Er senkte die Stimme und
meinte mit sarkastischem Unterton: »Die Staatsanwaltschaft ließ sich wohl nicht
dazu überreden, dem Herrn Angeklagten die Freude einer Mordanklage zu bereiten?«
    Görne schüttelte
missmutig den Kopf. Er griff nach einem Bündel Papiere und repetierte die letzten
Sätze der Anklageschrift, die er bereits am Freitag vorgelesen hatte, und schloss
mit der Bemerkung, dass er Anklage wegen Totschlags erheben werde. Die Augen des
Publikums waren dabei auf den Professor gerichtet. Mit gekrümmtem Rücken saß dieser
auf der Anklagebank, angestrengt den Ausführungen des Staatsanwalts lauschend, die
Miene verzerrt vor Anspannung. Hin und wieder hob er eine Hand an den Mund und küsste
einen Rosenkranz, den er unablässig zwischen den Fingern hindurchgleiten ließ.
    Ein theatralischer
Effekt, dachte Bentheim. Theatralisch, aber strategisch wirkungsvoll.
    Als der
Richter verlauten ließ, dass der Angeklagte nun die Gelegenheit erhalte, zu den
gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu beziehen, gab Botho Goltz seinem Verteidiger,
einem Mann namens Fabian Heseler, ein Zeichen.
    »Herr Vorsitzender«,
meldete sich dieser zu Wort, »mein Mandant zieht es vor, in diesem Stadium des Prozesses
von seinem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch zu machen.«
    Ob er erstaunt
war oder nicht, ließ sich Johann von Jänert nicht anmerken. Ohne mit der Wimper
zu zucken, wandte er sich an die Geschworenen und erläuterte, dass dem Angeklagten
dadurch keine Nachteile erwachsen dürften. Es gelte nach wie vor die Unschuldsvermutung
und Herr Professor Goltz sei dann, und nur dann zu verurteilen, falls seine Schuld
zweifelsfrei erwiesen werden könne. Wieder zum Professor gewandt, meinte er: »Botho
Goltz, Sie stehen unter Anklage, in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli dieses Jahres
das Fräulein Magdalene Kulm getötet zu haben. Sprechen Sie, Botho Goltz: Bekennen
Sie sich des Totschlags schuldig oder nicht schuldig?«
    »Nicht schuldig!«,
entgegnete der Professor mit fester Stimme.
    »Gut, kommen
wir nun zur Beweisaufnahme. Herr Görne, das Hohe Gericht lässt bitten.«
    »Danke,
Herr Vorsitzender.«
    Theodor
Görne, der hagere und glatzköpfige Anwalt, trat vor und platzierte sich in der Nähe
der Geschworenen. Er sprach laut, sodass ihn jeder verstehen konnte, aber in bedächtigem
Tonfall. Manchmal fuhr er sich mit einer Hand über die noch verbliebenen Seitenhaare
und strich sie glatt.
    »Als Beweismittel
werden wir dem Hohen Gericht vorlegen: mehrere schriftliche Zeugenaussagen, mehrere
im Verlauf des Prozess noch mündlich abzugebende Zeugenaussagen, mehrere Gutachten
von Sachverständigen, das amtliche Protokoll der Tatortbesichtigung durch Untersuchungsrichter
Karl Otto von Leps, die Ermittlungsergebnisse der preußischen Kriminalpolizei unter
Führung von Kommissar Gideon Horlitz sowie weitere am Tatort sichergestellte Beweise.«
    Es folgten
eine detaillierte Auflistung der schriftlichen Zeugenprotokolle und deren vollständige
Verlesung. Wer auch immer einen Einspruch seitens der Verteidigung erwartet hatte,
der wurde enttäuscht. Botho Goltz gab sich der selbst auferlegten Pose des Leidenden
hin, während sein Anwalt bisweilen etwas zu Papier brachte, aber im Großen und Ganzen
eher gelangweilt die Ausführungen des Anklägers anhörte.
    Auf diese
Weise verging der Tag, und als es bereits 19 Uhr geschlagen hatte, beendete Richter
Jänert die Sitzung.

Dreizehntes Kapitel
     
    Der nächste Gerichtstag sah in den
Augen der Öffentlichkeit einen weiteren Höhepunkt der bisher ohnehin schon ungewöhnlichen
Verhandlung. Zum Erstaunen aller Anwesenden hatte der Angeklagte seine schreiend
roten Haare mit Silbernitrat gefärbt, sodass sie nun in dezentem Schwarz matt schimmerten.
Auch seinen Bart hatte er vollständig rasiert. Obendrein war es nicht dabei geblieben,
dass einzig der Professor Besuch vom Barbier erhalten hatte, denn auch sein Verteidiger
besaß plötzlich einen feuerroten Lockenkopf, der in seiner ungebändigten Pracht
an Friedrich Schillers ehrwürdiges Haupt erinnerte. Als sie den Gerichtssaal betraten
und nebeneinander Platz nahmen, trugen beide Männer Kleider von

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