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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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gelüftet.«
    Unwillkürlich
zuckte er zusammen, als er sich ertappt fühlte. Er versuchte, seine Angst zu verbergen,
aber innerlich verfluchte er seine Entscheidung, Albrechts Angebot angenommen zu
haben. Was hatte er hier zu suchen? Er war zum Pornografen herabgesunken, zum Zeichner
auf Abruf, der sich in den schmutzigsten Fantasien seines Kunden suhlte.
    Adele kokettierte
mit ihm. Obwohl er es nicht wollte, begann sie ihn auszufragen. Widerwillig antwortete
er. Ihre Unbefangenheit nahm ihm allmählich die Scheu. Entspannt in den Kissen liegend,
begann sie von ihrer Kindheit in Stralsund zu schwatzen. Sie war in der Nähe der
Fährbastion aufgewachsen und hatte tagein, tagaus die Schiffe auf der Ostsee beobachtet.
Ihr Vater war Matrose gewesen, und als ihn eines Tages die stürmische See zurückbehielt,
zog ihre Mutter mit ihr nach Berlin, wo sie Arbeit als Packerinnen in einer Fabrik
fanden.
    »Das war
nichts für mich«, erzählte sie. »Jeden Tag abgebrochene Fingernägel, schwielige
Hände, aufgeschürfte Arme.«
    »Und deshalb
lässt du dich zeichnen?«
    »Manchmal
muss ich einfach nur nackt auf einem Tisch liegen. Dann werde ich von oben bis unten
mit Sahne und Früchten verziert und spiele das Büfett.«
    Julius schmunzelte.
Bissing und seine Freunde waren also nicht vollends verkommen, sondern besaßen mitunter
Stil. Er legte den Zeichenblock beiseite, um sich die Weste auszuziehen. Wenn er
es recht bedachte, musste er es sich eingestehen, dass die Situation ihm wohliger
erschien als noch vor wenigen Minuten. Adele war sympathisch, da bestand kein Zweifel.
    Mit einer
Handbewegung, die das ganze Zimmer einschloss, fragte er: »Und das macht dir nichts
aus?«
    »Im Paradies
waren sie auch nackt.«
    »Im Paradies
wussten sie nicht, dass sie nackt waren.«
    Sie zuckte
schicksalsergeben mit den Achseln.
    Bentheim
beugte sich vor, um im flackernden Kerzenlicht ihr Geschlecht besser betrachten
zu können, und die Erfahrung dieses Moments traf sein Inneres mit voller Wucht.
Es war das erste Mal, dass er eine Frau derart intensiv erforschen durfte, und er
musste sich eingestehen, dass es für ihn undenkbar erschien, dasselbe mit Filine
zu machen.
     
    Am nächsten Tag beehrte Julius Bentheim
das Haus des Pastors Gottfried Sternberg. Als Zeitpunkt, um in der Matthäikirchstraße
vorstellig zu werden, hatte er den Nachmittag gewählt, da vormittags ohnehin Messe
war und er Filine für einmal besuchen wollte, wenn er ihren Vater daheim wusste.
Hin und wieder schickte es sich einfach vorbeizuschauen, wenn die Angebetete unter
Beobachtung stand.
    Hedwig Lembke
führte ihn ins Speisezimmer, wo Vater und Tochter ihn bereits bei Kaffee und Sahnetörtchen
erwarteten.
    »Wir haben
Ihre Nachricht erhalten, Herr Bentheim«, begrüßte ihn der Pastor mit ausdrucksloser
Miene. »Bitte, setzen Sie sich. Ich habe mir erlaubt, zur Feier des Tages eine kleine
Köstlichkeit aufzutischen.«
    Als ob es
am Sonntag keinen Kuchen gäbe, dachte Julius amüsiert. Wie heuchlerisch selbst Pfaffen
sein können.
    Er nahm
das Angebot dankend an, ohne seine ketzerischen Gedanken zu verraten, und setzte
sich an Filines Seite. Während Frau Lembke Zucker reichte, brachte der Pastor das
Gespräch auf die Predigt, die er am selben Tage gehalten hatte. Manch nichtige Angelegenheit
wurde besprochen, bis Bentheim das Gefühl hatte, der Schicklichkeit sei Genüge getan.
    Zwei Stunden
später verabschiedete er sich von Pastor Sternberg und wurde von Filine zur Haustür
geleitet.
    »Sehen wir
uns nächste Woche?«, erkundigte sie sich.
    »Morgen
geht der Prozess weiter. Ich kann dir erst am Abend Nachricht geben. Aber spätestens
am Sonntag sollte ich Zeit haben.«
    »Schick
mir ein Billett.«
    »Mach ich.«
    Sie lächelte
scheu und schloss die Tür.
    Nachdenklich
schlug Julius den Heimweg ein. Das Erlebnis, das er nur wenige Stunden zuvor gehabt
hatte, schlich sich immer wieder in seine Gedanken und drohte die Erinnerung an
den Besuch bei Filine zu verdrängen.

Zwölftes Kapitel
     
    Am Montagmorgen unternahm Julius
Bentheim einen Abstecher zum Molkenmarkt. Er betrat die Empfangshalle des Polizeigebäudes,
steuerte den Schalter an und wies sich bei einem Gendarmen als Polizeizeichner aus,
der im Fall Hackeborn angestellt worden war.
    »Der Erhängte?«,
wollte der Mann wissen.
    »Ja, Viktor
Hackeborn. Selbstmord.«
    »Weshalb
wollen Sie Einsicht in die Akten?«
    Der Zeichner
spürte, wie ihm der Schweiß aus den Poren trat, doch er wusste, dass man dies

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