Die dunkle Muse
Korsett trug, bewies Bentheim,
dass ihr Vater ihr jeglichen Kontakt zur Außenwelt untersagt hatte.
Er näherte
sich ihrem Stuhl, kniete vor ihr nieder und verbarg den Kopf in ihrem Schoß. Das
Mädchen streichelte ihn, Filine atmete flach und leise. Tränen kullerten ihr über
die Wangen, sie versuchte, den Schmerz zu unterdrücken, doch das machte ihn nur
noch unerträglicher. Ihre Finger wühlten in seinen Haaren, sie fühlte die auf der
Kopfhaut kreisenden Kuppen mit ungewohnter Intensität. Er hob das Gesicht, um sie
auf den Bauch zu küssen, während seine Hände sich zwischen die Stuhllehne und ihren
Rücken drängten. Seine Haut war leicht rau, die typischen Hände eines Zeichners,
der oft mit Kreide malte. Beinah bittend berührte er ihren Körper.
Es war nicht
die Zeit, arglos zu sein, und Filine kam es vor, als hätte sie keine Vergangenheit
und auch keine Zukunft mehr. Bentheims Hand erschien ihr fremd, so ungewohnt. Sie
wollte etwas sagen, irgendeine Bemerkung machen, doch sie wählte die Worte viel
zu behutsam und viel zu langsam, sodass sie sich letzten Endes zu keinem richtigen
Satz durchringen konnte. Sie fühlte eine Wärme ihre Brust erfüllen, und das war
der Moment, an dem sie von allem abließ, was mit ihrem Ansehen und ihrer Stellung
in der Welt zu tun hatte.
Mit katzenhafter
Anmut streifte sie das Schnürleibchen ab.
Für den
Bruchteil eines Augenblicks dachte Bentheim an Adeles wogende Brust, als er Filines
Busen küsste und die Zunge über den Warzenhof kreisen ließ, um schließlich die Warzen
mit dem Mund zu umschließen und wie ein Kleinkind daran zu saugen. Ihr Atem ging
schneller, sie warf den Kopf zurück. Als er sich mit den Händen in ihr blondes Haar
vergraben wollte, langte er ins Leere und die geschorene Haut nahm sich seltsam
aus. Er ließ von ihren Brüsten ab, küsste ihr Schlüsselbein, ihren Hals, ihre Wangen,
bis er bei dem geschundenen Kopf angelangt war und der Schorf der langen, dünnen
Schnittwunden spürte.
Sie hielt
ihn sanft an den Wangen und zog ihn zurück. Ihre Zunge schob sich in seinen Mund,
umspielte seine Zunge, fuhr den Zähnen entlang. Er stand auf, um sie zur Matratze
zu führen, wo er ihren Kopf behutsam aufs Kissen bettete. Die Kerze bot ausreichend
Licht, um Filines Gesicht im flackernden Schein unerforschlich und starr wirken
zu lassen. Einzig ihr Körper zitterte leicht, doch sie fand Trost im nackten Fleisch
dieses Mannes. Er hatte sich ausgezogen, sein Hemd und seine Hose lagen auf den
Dielen.
Unerschütterlich
flüsterte sie: »Halt mich fest, Julius, ganz fest.«
Die Rauheit
seiner Hände, gepaart mit dem Anblick seines erregten Gliedes, wurde ihr zu einem
namenlosen sicheren Hafen, der irgendwo im Dunst der Gefühle um sie herum verborgen
lag.
Später,
als alles vorüber war und das Gesicht ihres Vaters wie ein Albdruck in ihren Träumen
erschien, erwachte sie schweißgebadet und schluchzte. Bentheim nahm sie wie tröstend
in den Arm. Er drückte sie an sich, sprach beruhigend auf sie ein, streichelte den
zarten Flaum zwischen ihren Schenkeln, bis sie aufhörte zu wimmern und von Neuem
einschlief.
Einundzwanzigstes Kapitel
Julius Bentheim verließ Filine Sternberg
sehr früh. Die nahen Turmglocken hatten noch nicht fünf geschlagen, als er sich
von ihr verabschiedete und ihr einbläute, auf jeden Fall im Zimmer zu bleiben und
niemandem die Tür zu öffnen.
»Ein Stockwerk
weiter unten gibt es ein Gemeinschaftsklo«, erklärte er. »Du aber benutzt den Nachttopf,
Finchen. Hast du mich verstanden?«
Sie nickte.
»Ich bin
gegen Abend wieder da. Eine Woche lang müssen wir ausharren. Danach kann uns eine
Heirat nicht mehr verweigert werden. Der Skandal wäre zu groß.«
»Was ist,
wenn ich Hunger habe?«
»Mittags
wird Albrecht vorbeischauen. Da ich vergessen habe, dir ein paar Bücher einzupacken,
wird er dir auch ein bisschen Lektüre bringen.«
»Kannst
du nicht bei mir bleiben?«, flehte sie.
Er stand
neben der Tür, die Arbeitsmappe in der einen, die Klinke in der anderen Hand, und
beugte sich nochmals zu ihr hin. »Versteh doch, alles soll seinen gewohnten Gang
gehen. Ich will mich nicht verdächtig machen.«
Erneut nickte
sie und als er gegangen war, horchte sie in den Flur hinaus. Als seine Schritte
im Treppenhaus verklangen, öffnete sie das Fenster, um das erste, noch fahle Licht
des Tages hereinzulassen, und begann zu weinen.
Im Prozessfall Kulm war der letzte
Tag der Beweisaufnahme angebrochen und Bentheim saß
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