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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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voller Anspannung auf seinem
Platz. Es machte den Anschein, als ob die Seite der Ankläger das meiste Pulver bereits
verschossen hatte. Nachdem die Sitzung eröffnet war, legte Theodor Görne ein paar
Gutachten vor, rekapitulierte die Ansichten der Anwaltschaft und stellte den Antrag,
einige Vertreter der Gendarmerie noch einmal befragen zu dürfen. Alles lief routinemäßig
ab und Verteidiger Heseler, der ruhig und gelassen auf seiner Bank saß, erhob zu
keiner Zeit die Stimme zu einem Einspruch. Botho Goltz blätterte indessen in demonstrativer
Langeweile in einem Lyrikbändchen.
    Als Görne
geendet hatte, befragte der Verteidiger noch einmal den Polizisten Ernst Detlof.
Er wollte von ihm wissen, was es mit den bei Professor Goltz sichergestellten Banknoten
auf sich habe.
    »Wir fanden
zehn Geldscheine, die wir inventarisierten.«
    »Bitte,
erklären Sie den Geschworenen, wie so eine Inventarisierung vor sich geht.«
    Detlof räusperte
sich, als er den Kopf zur Geschworenenbank drehte. »Wir protokollieren den exakten
Fundort, die genaue Anzahl der Scheine, ihren Wert sowie etwaige Besonderheiten
– als da wären: zerrissene oder auffällig zerknitterte Scheine, außergewöhnliche
Bemalung, Notizen und so weiter.«
    »Notieren
Sie auch die Seriennummer?«
    »Natürlich.«
    »Eine Frage,
Herr Detlof: Gesetzt den Fall, sie müssten dem Publikum die Seriennummern jener
Scheine wiedergeben, die sich im Besitz von Herrn Professor Goltz befanden – könnten
Sie dies?«
    »Natürlich
könnte ich das«, bestätigte der Polizist.
    »Was hat
es übrigens mit diesen Seriennummern auf sich? Wieso gibt es die überhaupt?«
    »Das hat
historische Gründe«, erklärte Detlof. »Sie kennen die Geschichten gewiss selbst,
die uns in unserer Kindheit von unseren Großvätern erzählt wurden. Noch vor zwei
Generationen bezahlte man alles mit Münzgeld. Bancozettel, Wechsel, Quittungen oder
Staatspapier- und Tresorscheine waren selten. Wenn man einkaufen ging, musste man
immer Münzen dabei haben. Je größer die Anschaffung, desto schwerer das Geld, das
man, um die Rechnung zu begleichen, mit sich schleppen musste.«
    Heseler
schmunzelte und Bentheim stellte sich vor, dass dieser wahrscheinlich an seinen
Großvater dachte, der ihm, als er noch ein Knabe war, von seinem kaputten Rücken
vorgejammert hatte.
    »Papiergeld
ist eine relativ neue Erfindung«, fuhr der Polizist fort. »Das Prinzip beruht auf
dem Vertrauen, dass man den Fetzen Papier, den man besitzt, jederzeit und überall
in Münzgeld zu gleichem Wert umtauschen kann. Früher stand diese Zusicherung sogar
auf den Scheinen selbst. Handschriftlich, wohlgemerkt, und mit Datum und Unterschrift.
Mit der wachsenden Verbreitung von Papiergeld setzte ein Umdenken ein. Der Staat,
der das Münzmonopol besaß, übernahm auch das Monopol über das Papiergeld. Jeder
von den Staatsbanken ausgegebene Geldschein ist ein Unikat und besitzt deshalb eine
eigene Nummer. Existieren zwei Scheine mit derselben Nummer, ist einer von ihnen
folglich eine Fälschung.«
    »Kann ich
mir das so vorstellen, dass der allererste gedruckte Geldschein die Nummer 1 erhielt,
der zweite die 2, der dritte die 3 und so weiter?«
    Ernst Detlof
nickte. »Im Prinzip schon, ja. Nur, dass die Seriennummern nach bestimmten mathematischen
Formeln aufgebaut sind, deren Gesetzmäßigkeiten der normale Bürger nicht kennt.
So soll verhindert werden, dass Falschgeld produziert wird.«
    »Wenn ich
ein Kreditinstitut aufsuche, um Geld zu wechseln oder von meinem Konto abzuheben,
sind dann die Scheine, die ich erhalte, in fortlaufender Nummerierung?«
    »Ich bin
kein Bankangestellter, Herr Anwalt, aber ich denke, es sollte so sein.«
    »Es ist
so, Herr Detlof, es ist so«, meinte Fabian Heseler und wandte sich an das Richterpult.
»Ich möchte dem Hohen Gericht eine eidesstattliche Erklärung meines Mandanten zukommen
lassen.«
    Johann von
Jänert erkundigte sich, worum es sich bei dem neuen Material handle, und der Verteidiger
reichte ihm, ohne weitere Worte zu verlieren, einen Zettel. Der Richter überflog
ihn, hob eine Augenbraue, atmete tief ein und zitierte den Ankläger zu sich. Er
reichte Görne das Blatt und fragte: »Irgendwelche Einwände, Herr Anwalt?«
    Der hagere
Glatzkopf verneinte.
    Julius Bentheim
beobachtete seine Miene, die einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Überforderung
entsprach. Mit wenigen Grafitstrichen fing der junge Zeichner den Gesichtsausdruck
des Juristen ein, der ratlos an seinen Tisch

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