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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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zurücktrottete.
    »Als Beweismaterial
der Verteidigung akzeptiert«, bemerkte Jänert und ließ dem Protokollführer das Blatt
reichen, damit dieser die Uhrzeit der Übergabe sowie eine kurze Beschreibung des
Beweisstücks in seinem Bericht notieren konnte. Auf Jänerts Anweisung hin wurde
das Schreiben wieder dem Verteidiger übergeben und der Richter bat Heseler, die
Öffentlichkeit über dessen Inhalt zu informieren.
    »Gerne komme
ich Ihrer Bitte nach, Herr Vorsitzender. Werte Geschworene, was ich soeben dem Gericht
vorgelegt habe, ist eine eidesstattliche Erklärung von Herrn Goltz. Sie ist zudem
ein Gedächtnisprotokoll und datiert vom Tag nach Fräulein Lene Kulms Hinscheiden.
Dies ist insofern wichtig, als mein Mandant sich in seiner Aussage nicht auf die
Inventarisierungsliste der Polizei stützen konnte. Ich wiederhole: Zum Zeitpunkt,
als Professor Botho Goltz seine Erklärung abgab, hatte er keinerlei Kenntnis über
den Inhalt der Inventarisierungsliste.«
    Jänert wurde
ungeduldig: »Tragen Sie den Inhalt des Schreibens vor. Für das Plädoyer haben Sie
später noch ausreichend Zeit.«
    »Sehr wohl,
Herr Vorsitzender.« Heseler verbeugte sich in Richtung der Richterpulte, wandte
sich der Geschworenenbank zu und las vor: »Ich, Professor Botho Goltz, gebe hiermit
zu Protokoll, dass ich mir vor wenigen Tagen in einer Filiale der Banque Nucingen
20 Banknoten habe aushändigen lassen. Es waren – auf meinen ausdrücklichen Wunsch
hin – neue, druckfrische Scheine, alle mit durchlaufender Seriennummer, ab der Endziffer
51 aufsteigend bis zur Endziffer 70.« Mit ruhiger Sachlichkeit hatte er vorgetragen,
beobachtete nun die Männer und Frauen, die über seinen Mandanten zu Gericht saßen,
und meinte dann: »Weiter steht hier geschrieben: Alle Banknoten mit gerader Seriennummer
habe ich als Reserve für mich behalten; jene Scheine mit ungerader Seriennummer
habe ich meiner Geliebten, Fräulein Lene Kulm, vermacht, und zwar am Tag ihrer Ermordung
durch Herrn Gregor Haldern.«
    »Einspruch!«,
erscholl es sichtlich bestürzt von Görne. »Ihr Mandant ist es, der vor den Schranken
des Gerichts steht, und nicht Herr Haldern, dem unser aller Mitleid gehört, da er
den Verlust seiner Braut zu beklagen hat.«
    »Abgelehnt«,
murrte Jänert. »Ihr Kollege zitiert aus einem Beweisstück. Lassen Sie ihn seine
Arbeit tun. Außerdem hatten Sie zuvor bereits die Möglichkeit, Einwände anzubringen.«
    »Lügen,
weiter nichts als Lügen!«, rief nun Haldern in das Geschehen hinein. Nachdem er
bei der Untersuchung der Jacke noch von Görne zurückgehalten worden war, sprang
er diesmal auf, um seinem Unmut freien Lauf zu lassen. Er schwankte leicht, hielt
sich mit einer Hand an der Tischkante fest und stieß eine mit den schändlichsten
Fluchwörtern versehene Litanei in Richtung des Professors aus.
    »Herr Haldern,
ich muss Sie um Mäßigung bitten«, erklärte Jänert, während er die Richterperücke
auf seinem Kopf gerade rückte. »Andernfalls müsste ich Sie des Saales verweisen.«
    Bentheim
starrte gebannt zum Tisch der Anklage hinüber, wo Haldern jegliche Selbstbeherrschung
über Bord warf. Sein vom Alkohol gezeichnetes Gesicht verzog sich zu einer grauenerregenden
Maske. Mit einem lauten Geräusch sammelte er seinen Speichel in der Mundhöhle und
spuckte in Richtung Verteidigung, ohne jemanden zu treffen. »Der Teufel soll euch
alle holen!« Wild blickte er umher, verließ seinen Platz, aber ein Gerichtsdiener
vertrat ihm den Weg.
    »Herr Haldern!«,
rief Jänert und klopfte mit dem Hammer mehrmals auf den Tisch. Mit den Händen gestikulierte
er und zwei weitere Diener eilten dem ersten zu Hilfe. Als der Mann überwältigt
am Boden lag, brach alles aus ihm heraus: das Leid, der Druck, die Anspannung. Er
schüttelte sich wie von Krämpfen gepackt, während er wimmernd in sich zusammensank.
Es war ein erbarmungswürdiges Schauspiel, wie Bentheim dachte, aber niemand besaß
das Herz, dem vom Schicksal Gebeutelten wenigstens gut zuzureden.
    »Abführen!«,
meinte der Richter und die drei Männer schleiften den Reglosen durch den Mittelgang,
vorbei an einem verblüfften Publikum, das gierig die neueste Sensation verfolgte.
     
    Nach einer halbstündigen Pause,
die Jänert nach diesem Zwischenfall angeordnet hatte, nahm der Prozess seinen weiteren
Verlauf. Görne wiederholte die ersten Sätze der eidesstattlichen Erklärung, bis
er dort anlangte, wo er zuvor unterbrochen worden war: »Jene Scheine mit

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