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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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können.«
    »Lassen
Sie den Zeugen erst einmal antworten«, belehrte ihn Jänert gereizt.
    »Nun, Herr
Detlof«, meinte der Verteidiger ruhig. »Waren die Nummern fortlaufend oder wild
durcheinander?«
    »Ich denke,
sie waren …«
    »Einspruch!«
    »Stattgegeben«,
brummte Jänert und wies den Zeugen an, keine Mutmaßungen zu äußern.
    »Wenn man
– wie Herr Professor Goltz behauptet – neue Scheine verlangt, wird man dann auch
neue Scheine bekommen?«
    Verzweifelt
hob der Polizist die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Ich bin kein Bankier.«
    »Geschenkt.
– Aber was sagt Ihr gesunder Menschenverstand: Wie könnte es dazu kommen, dass von
zwei Menschen, die jeweils zehn druckfrische Banknoten abheben, der eine schließlich
die geraden Nummern in seinem Besitz findet, während der andere die ungeraden erhalten
hat?«
    Lange sagte
der Polizist nichts, doch Heseler starrte ihn unverwandt an und meinte: »Nun, Herr
Detlof, wie haben die zwei Herren das bloß angestellt?«
    »Sie müssten
nacheinander abwechselnd je eine Note abgehoben haben.«
    Das Gesicht
des Verteidigers strahlte. »Gratuliere, Sie haben es erfasst! So muss es gewesen
sein, wenn man der Argumentation der Anklage folgen möchte.« Er wandte sich von
dem Zeugen ab und noch während er weitersprach, blickte er unverwandt die Geschworenen
an. »Herr Detlof, sagen Sie mir, ob es so gewesen sein könnte, wie ich es nun schildern
werde: Professor Goltz betritt das Bankhaus Nucingen. Er lässt sich einen Geldschein
mit gerader Seriennummer aushändigen. Herr Haldern betritt ebenfalls die Bank. Dieselbe
Bank, wohlgemerkt. Er lässt sich einen Geldschein mit ungerader Seriennummer aushändigen.
Darauf fällt dem Professor ein, dass er doch noch zu wenig Geld bei sich habe. Er
geht wieder an den Schalter und lässt sich einen zweiten Geldschein mit gerader
Seriennummer aushändigen. Daraufhin kommt Herrn Haldern in den Sinn, er habe zu
wenig Geld. Auch er lässt sich eine zweite Banknote geben. Dann wieder der Professor:
die dritte Note. Dann Haldern: die dritte Note. Der Professor mit der vierten, Haldern
mit der vierten. Professor, Haldern, Professor, Haldern und so weiter und so fort.
Gerade Nummer, ungerade Nummer. Gerade, ungerade, gerade, ungerade. Einem Zuschauer
könnte es schwindlig dabei werden.«
    Der Verteidiger
drehte sich wieder und sah dem Polizisten ins Gesicht. Maliziös meinte er: »Ist
es so gewesen? Oder wären dies doch ein bisschen zu viele Zufälle? Mutet die Argumentation
der Anklage nicht doch ein wenig abstrus an?«
    Heseler
gab die Befragung auf, Theodor Görne winkte desinteressiert ab. Der Richter studierte
ein Amtsblatt, hob den Kopf und meinte zynisch: »Irgendwelche weiteren überraschenden
Anträge seitens der Verteidigung? Nein? Gut, dann ist hiermit die Beweisaufnahme
beendet. Ich darf die beiden Parteien bitten, sich für die Abschlussplädoyers vorzubereiten.
Die Nachmittagssitzung wird um 14 Uhr eröffnet werden.«

Zweiundzwanzigstes Kapitel
     
    Die Mittagspause verbrachte Julius
Bentheim in Gesellschaft der Kommissare Bissing und Horlitz, die er auf dem Flur
angetroffen hatte. Sie suchten ein Wirtshaus auf – nicht dasselbe wie letztes Mal,
sondern eine kleine Spelunke in der Nähe des Kollegienhauses – und bestellten bei
einer drallen Serviertochter Bier und Wurstteller.
    »Famose
Strategie«, äußerte Horlitz bewundernd. »Zu diesem Professor wäre ich gerne ins
Seminar gegangen. Was unterrichtet er? Philosophie?«
    »Metaphysik
und Ontologie.«
    »Ontologie
– was war das schon wieder?«
    »Es geht
um Grundstrukturen der Realität«, mischte sich Julius ins Gespräch ein.
    »Sieh an,
Herr Bentheim sind gebildet«, spöttelte Horlitz. Etwas ernster fügte er hinzu: »Goltz
ist eine gewisse logische Vorgehensweise nicht abzusprechen.«
    »Er besteht
einzig aus Logik und Geist«, bemerkte Julius verzagt. »Wenn ich das richtig mitbekommen
habe, hat es die Verteidigung geschafft, praktisch alles zu zerstören, was die Anklage
gegen Goltz vorzubringen hatte: Es existieren weder Tatwaffe noch Motiv. Auch keine
brauchbaren Zeugen.«
    »Und keine
ordnungsgemäß identifizierte Leiche«, ergänzte Horlitz.
    »Richtig.
Hat der Professor die Vermisstenanzeige inzwischen aufgegeben?«
    Bissing
kraulte sich den Backenbart und nickte. »Ja, Heseler hat sie tatsächlich im Auftrag
des Professors bei der Gendarmerie deponiert.«
    »Könnte
man die Kulm nicht exhumieren?«
    »Und dann?«
    »Eine Identifizierung
durch

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