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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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Haldern. Und falls dieser versoffene Unhold nicht dazu fähig ist, werden sich
beim Schlachthof bestimmt einige finden, die mit ihr zusammengearbeitet haben.«
    »Dieser
Zug ist abgefahren«, sagte Horlitz und lehnte sich zurück, um Platz für die Bierkrüge
zu machen, die von der Schankmagd aufgetischt wurden. »Man kann nicht alles im Nachhinein
bei Gericht einreichen.«
    »In welche
Richtung läuft dieser Prozess eigentlich?«, fragte Bentheim besorgt.
    »Was ist
Ihre Meinung als Student der Rechte? Was denken Sie?«
    Erneut wurden
Sie unterbrochen, als die Speiseteller kamen, und der Tatortzeichner rieb sich nachdenklich
das Kinn. »Nachdem Haldern bereits eine Tatwaffe untergejubelt wurde, haben sie
es heute sogar geschafft, ihm ein Motiv anzuhängen«, dachte er laut nach.
    »Weiter.«
    »Heute wird
ein schwarzer Tag für die preußische Justitia. Die Verteidigung hat einen zweiten
Verdächtigen aus dem Hut gezaubert, der als Mörder glaubwürdiger ist als der Professor.
Goltz wirkt bisweilen kultiviert, intelligent, bürgerlich. Haldern ist eine Figur,
die Dostojewskijs ›Erniedrigten und Beleidigten‹ entsprungen sein könnte: ein Säufer,
melancholisch, gewalttätig, außerdem den Trieben unterworfen. Für wen entscheiden
sich die Geschworenen? Eine wohl überflüssige Frage.«
    »Was wird
aus Haldern?«
    »Nichts.
Er ist ja nicht angeklagt.«
    Bissing
schüttelte energisch den Kopf. »Täuschen Sie sich da bloß nicht, junger Herr Bentheim.
Die Justiz sieht es nicht gern, wenn es zu einem Mord keinen verurteilten Mörder
gibt, und die Öffentlichkeit wird nach Blut lechzen. Keine Tat ohne Bestrafung.«
    »Aber Sie
wissen doch so gut wie ich, dass Haldern unschuldig ist.«
    »Wissen
wir das?«, fragte Bissing bösartig.
    »Ich bitte
Sie.«
    »Was passiert,
wenn es zu einer Anklageerhebung kommt?«
    »Dann gibt
es einen Prozess«, meinte Julius, »dessen Ausgang für Haldern sehr schlecht aussähe.
Man würde das Messer, das bei ihm gefunden wurde, als Tatmesser ansehen; man würde
das blutbesudelte Geld und Eifersucht als Motiv aufgreifen. Verbunden mit seinem
cholerischen Charakter sowie seinem schlechten Leumund eine tödliche Kombination.
Es wäre ein Mord im Affekt. Damit könnte man auch die vielen Stichwunden erklären.
Und seine Wohnung war abgeschlossen. Die Polizei fand einen Schlüssel bei ihm, nicht
aber bei Lene Kulm.«
    »Etwas eigenartig,
oder?«
    »Normalerweise
besitzt man zwei Schlüssel, ja«, stimmte Bentheim zu. »Aber Lenes wurde nicht gefunden.
Ich glaube nicht, dass sich die Staatsanwaltschaft wegen so etwas in ihrer Argumentation
aufhalten ließe.«
    »Schlechte
Karten also«, bemerkte Gideon Horlitz.
    »Wie man’s
nimmt. Letzten Endes liegt die Bestimmung des Strafmaßes im Ermessen des Gerichts.
Ein Richter, der die Vorgeschichte kennt, wird gewiss unzählige mildernde Umstände
finden, um nicht allzu sehr über die Stränge zu schlagen.«
    »Ihr Wort
in Gottes Ohr, Julius«, meinte Kommissar Horlitz, als er aufstand und sich die Weste
glatt strich. »Die Herren mögen mich entschuldigen, ich muss einem Bedürfnis nachgehen.«
    Er stand
auf, durchquerte den Raum und wandte sich an den Wirt. Dieser wies mit dem Finger
in eine Richtung, und der Kommissar verschwand. Bissing und der Zeichner hatten
das Geschehen verfolgt. Es war Bentheim, als lauere sein Gegenüber nur darauf, mit
ihm allein zu sein.
    »Mein Bote
konnte Sie gestern nicht erreichen«, kam der Kommissar ohne Umschweife zur Sache.
»Von 22 Uhr bis weit nach Mitternacht hat er auf Sie gewartet. Ohne Erfolg.«
    »Ich ging
mit Freunden aus und kam erst spät nach Hause«, log der Zeichner.
    »Und die
Bilder?«
    »Sind zum
Abholen bereit. Schicken Sie Ihren Boten heute Abend noch einmal vorbei. Falls ich
nicht da sein sollte, wird er nach Albrecht Krosick fragen müssen.«
    »Zurzeit
sind Sie ein viel beschäftigter Mann, Graf von Saint-Germain.« Es war keineswegs
boshaft gesprochen, doch Bentheim fuhr ein Schauder über den Rücken. Unwillkürlich
blickte er sich um: Arbeiter und Laufburschen, die lustlos ihre Suppe löffelten
oder sich an Wurst und Brot gütlich taten, eine Schankmagd, die desinteressiert
die Gäste bediente.
    »Ich habe
viel zu tun«, stimmte er zu. »Das Studium, der Prozess, Freunde.«
    Mit alles
durchdringenden Augen starrte der Kommissar ihn an. Schließlich überreichte er ihm
eine Karte und meinte: »Hier, meine Adresse in Spandau, falls Sie es doch vorziehen
sollten, das Paket selbst zu

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