Die dunkle Muse
Schaum überlief.
»Vom Pastor
keine Nachricht, leider. Außer, dass er der Lembke gekündigt hat.«
»Er hat
sie vor die Tür gesetzt?«
»Hochkant
rausgeworfen, ja.«
»Woher weißt
du das?«
»Sie ist
bei Amalia aufgetaucht, ein einziges Häufchen Elend. Deshalb konnte ich gestern
nicht bei euch vorbeischauen.«
»Die arme
Frau Losch«, meinte Julius. »Der bleibt aber auch nichts erspart. Jetzt spielt sie
schon Schlummermutter für diesen Drachen.«
Filine sah
die beiden abwechselnd an, erst ihren Geliebten, dann Albrecht, dann wieder Julius.
»Was hat das zu bedeuten?«, wollte sie wissen.
»Zumindest
für die Lembke nichts Gutes«, meinte Krosick schadenfroh, als er einen Schluck nahm.
»Sie hätte Augen und Ohren aufgesperrt und das wollte dein Vater wohl verhindern.
Aber an unserem Plan ändert sich nichts. Bald nämlich könnte ruchbar werden, dass
du verschwunden bist, Filine, und dann muss er einfach auf unsere Forderungen eingehen.
Die Entlassung der Lembke zeigt lediglich, dass er einen öffentlichen Skandal vermeiden
will. Sobald ihr zwei verheiratet seid, wird er sie wieder einstellen, davon bin
ich überzeugt.«
Nachdenklich
sah sie die karge Wand an. Ein ernster Schleier legte sich über ihr Gesicht. »Es
ist so einsam hier«, sagte sie endlich. »Alles grau, alles so – tot.«
Julius umarmte
sie, während Albrecht ans Fenster trat und die Fensterbank mit dem robusten Eisennagel
betrachtete, der außen angebracht war, damit man im Winter Esswaren daran hängen
und kühlen konnte. Die meisten Mietskasernen besaßen diese Vorrichtungen; es waren
dicke, zu Halbkreisen gebogene Nägel oder hölzerne Belegnägel aus der Schifffahrt,
an denen Schnüre befestigt waren. Sie waren der Notbehelf der kleinen Leute.
Der Fotograf
deutete darauf und meinte: »Wozu brauchst du den im Sommer? Übrigens hast du ihn
falsch eingeschlagen, Julius, das Seil würde gleich abrutschen.«
»Der ist
nicht von mir«, antwortete er. »Stell die Flaschen einfach hier in eine Ecke, ich
werde mir schon einen Eimer mit kühlem Wasser zu besorgen wissen.«
Krosick
kam dem Vorschlag nach und deponierte das Gebräu auf dem Boden. Wiederum trat er
ans Fenster, diesmal presste er die Stirn ans Glas. »Weshalb ist der Nagel nicht
angerostet?«, murmelte er. Er sprach mehr zu sich selbst, aber Julius packte eine
fiebrige Erregung. Er ließ Filine los und stellte sich an die Seite seines Freundes.
»Tatsächlich.
Blitzblank.«
Die beiden
Freunde dachten sich ihren Teil, doch es war die junge Frau, die die Vermutung letztendlich
aussprach: »Der Nagel wurde vom Professor eingeschlagen.«
Julius nickte.
Die Gedanken galoppierten durch seinen Kopf wie eine Herde aufgescheuchter Rösser.
»Die Schnur würde gar nicht abrutschen«, gab er schließlich seiner Meinung Ausdruck,
»wenn sie, statt nach unten, nach oben führte.«
»Das Messer!«,
verkündete Krosick.
Bentheim
öffnete energisch das Gaubenfenster. Er streckte den Kopf hinaus und wies nach oben.
Die Ziegel boten weder Halt noch Gelegenheit zum Festbinden eines Seils. Der Abzug
des gusseisernen Ofens, der oben durch das Dach trat, war ein dünnes Metallrohr,
das sich sicherlich unter der Last eines Mannes gebogen hätte. Es glänzte und funkelte
im morgendlichen Sonnenschein.
»Von hier
aus gelangt man unmöglich aufs Dach«, meinte Julius, »und doch muss es so gewesen
sein, dass er auf diese Weise das Messer verschwinden ließ. Das dritte Messer, die
Tatwaffe.«
»Du meinst,
er band das Messer an eine Schnur, warf es über den Giebel und ließ es – durch das
Eigengewicht gezogen – auf der anderen Seite auf die Straße fallen?«
»Nein, dann
hätte es die Polizei gefunden. Das Messer ist immer noch da oben, und zwar an der
Innenseite des Lichtschachts.«
»Natürlich,
da muss es sein.«
»O Gott«,
entfuhr es Filine aufgeregt. »Wir können den Professor überführen!«
»Beeilen
wir uns! In ungefähr zwei Stunden ist die Urteilsverkündung.«
Sie traten
auf den Gang hinaus, wo sie in den Lichtschacht spähten. Teilweise gab es kantige
Vorsprünge in der Ziegelmauer und Krosick machte den Vorschlag, die Tischplatte
darauf abzulegen, um festen Halt zu bekommen. Mit aller Kraft schlugen sie dem Tisch
die Beine ab und schoben die schmale Bretterplatte über den Abgrund. Auf allen Vieren
wagte sich Bentheim hinein, vorsichtig Zentimeter um Zentimeter vorrückend. Rechts
und links ging es mehrere Stockwerke tief hinab, oben jedoch, wo eine verschmutzte,
matte
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