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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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übermitteln. Natürlich auf diskrete Weise. Mein Bote
unterrichtete mich überdies darüber, dass er zwielichtige Gestalten um das Haus
Ihrer Vermieterin schleichen sah. Ein Kerl mit der Physiognomie eines Schlägers
sowie ein mit Pastorenkutte bekleideter Mann, der wild klopfend Einlass begehrte.
Haben Sie Probleme, Herr Bentheim? Ich möchte nicht, dass unser Kontrakt unter einem
ungünstigen Stern steht.«
    Bentheim
schüttelte den Kopf. »Keine Probleme, Herr Kommissar. Alles in Ordnung.«
    »Gut, denn
sehen Sie, Gideon kommt zurück. Lassen Sie uns die Rechnung begleichen, mein Freund,
der Prozess geht bald weiter.«
     
    Die Beweisaufnahme war abgeschlossen
und das Richtergespann Jänert, Polte und Lipinsky lud zum Plädoyer. Staatsanwalt
Görne legte sich ein letztes Mal ins Zeug, forderte mit Inbrunst die Verurteilung
des Professors, wobei er immer wieder angebliche Indizien in seine Rede einflocht
und vermehrt von Jänert darauf aufmerksam gemacht wurde, keine unerlaubten Beweismittel
anzugeben. Bentheim fand es erbärmlich, dass das Hauptaugenmerk lediglich auf das
Geständnis gelegt wurde, das der Professor gegenüber seiner Nachbarin abgelegt haben
sollte.
    Der Professor
saß gelassen neben seinem Verteidiger auf der Anklagebank und verfolgte mit desinteressierter
Miene das Geschehen. Seine Kleidung war tadellos geschnitten. Er trug eine weiße
Weste – dies mochte wohl mehr als nur bloßer Zufall sein, wie Julius fand – sowie
schwarze Hosen und Schuhe mit modischen Schnallen: Es war die Ausstaffierung eines
eitlen Gecken, wäre da nicht der ungepflegt erscheinende Bartwuchs gewesen, den
Goltz seit einigen Tagen wild sprießen ließ. Das Silbernitrat in den Haaren war
längst ausgewaschen und der ursprünglichen Farbe gewichen.
    Als der
Staatsanwalt sein Plädoyer beendet hatte, waren mehr als zwei Stunden vergangen.
Fabian Heseler stand auf, da ihm Jänert das Wort erteilte, und wandte sich an die
Geschworenen. Schritt für Schritt versuchte er, die Anklagepunkte zu widerlegen.
Wie von Bentheim vorhergesagt, griff er die Argumentation der Anwaltschaft an, indem
er auf ein fehlendes Motiv hinwies. »Weshalb sollte man jemanden im Affekt totstechen,
wenn man ihm kurz zuvor noch freiwillig Geld gegeben hat? Wenn man unlängst noch
den Geschlechtsverkehr mit dieser Person vollzogen hat? Wenn man diese Person liebte
und unterstützte und sich Liebesbriefe schrieb?«
    Einen theatralischen
Moment lang hielt er inne, um seine Gedankengänge wirken zu lassen, bevor er selbst
die Antworten auf seine Fragen lieferte: »Herr Professor Goltz hat Fräulein Kulm
Geld gegeben. Bewiese­nermaßen. Herr Professor Goltz hatte geschlechtlichen Umgang
mit Fräulein Kulm. Bewiesenermaßen. Der Verkehr verlief jedoch auf freiwilliger
Basis. Dies wurde von Professor Virchow, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Pathologie,
bestätigt. Und wieso soll mein Mandant schuldig sein, wenn die Tatwaffe bewiesenermaßen
beim Nachbarn gefunden wird? Würde jemand, der eine Frau im Affekt tötet, nicht
die Nerven verlieren? Mein Klient hingegen klopft, wie es sich für einen anständigen
Bürger gehört, bei der Nachbarin, um sie zu bitten, sie möge die Gendarmen benachrichtigen
– ein Verbrechen sei begangen worden.«
    Mehrere
der Anwesenden lächelten unweigerlich. Es war ihnen nicht entgangen, dass der Verteidiger
einige Punkte anders darstellte. In einer Mischung aus Faszination und Abscheu verfolgten
sie Heselers Treiben. Der Pflichtverteidiger, dem der Fall als Sprungbrett dienen
würde, genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. Die Strategie, die ihm wohl
nur der Professor vorgezeichnet haben mochte, schien aufzugehen.
    Der Uhrzeiger
rückte unaufhaltsam vor, während Bentheim Heseler skizzierte. Der Gerichtszeichner
verwandte viel Zeit darauf, ihn richtig zu treffen. Geduldig wartete er einen Gesichtsausdruck
ab, der das Innenleben des Juristen passend ausdrückte. Akribisch fuhr er dann mit
den Stiften die Furchen nach, die er bereits umrissen hatte. Es sollte ein beinahe
fotografisches Porträt werden.
    Der Verteidiger
beendete seine Rede mit der inbrünstigen Bitte, keinen Unschuldigen zu bestrafen.
    »In dubio
pro reo«, schloss er seine Ausführungen.
    Johann von
Jänert verschaffte sich durch Klopfen mit seinem Hammer Gehör und meinte: »Nachdem
die Anträge auf Bestrafung beziehungsweise auf Freispruch gestellt worden sind,
erhält der Angeklagte, sofern er sich noch ein letztes Mal äußern möchte, die

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