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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Boden gerammten Fackel machte Rodraeg sich an die Arbeit. Zuerst
versuchte er, das letzte Segment der aus ineinandergefügten ausgehöhlten
Baumstämmen bestehenden Röhre abzuschrauben oder abzubrechen, aber die
Verbindungsstellen waren mit Harzkitt nicht nur wasserdicht, sondern auch
äußerst stabil umhüllt worden. Also zog Rodraeg sein Schwert und benutzte es
als Werkzeug, statt als Waffe. Während er hackte und drosch, verwehte die
Fackel. Über Rodraeg trat der gigantische Sternenhimmel in den Vordergrund, und
der Wiesenmond schimmerte als schlanke Sichel auf. Mitten in einer
Aufwärtsbewegung hielt Rodraeg inne und blickte in die perlendurchwirkte Nacht.
Wenn man dort hineinstürzen würde in dieses Dunkel, so hatte es einer seiner
Lehrer dem Knaben Rodraeg vermittelt, so würde man jahrelang fallen, bis man
schließlich auf einem der Sterne aufschlug. Einige Sterne flackerten, wenn man
unruhigen Sinnes hinaufschaute. Mit ruhigem Auge konnte man ihr Glänzen jedoch
als beständig erkennen. Ewigkeit und Größe. Wie unbeträchtlich mußte für die
Götter dort oben das Gewimmel und Gerackere der Menschen hier unten erscheinen.
    Rodraeg dachte über die
Kruhnskrieger nach, während seine Klinge Späne aus dem Holz trieb. Wie Hellas
sie ehrfurchtsvoll angekündigt hatte, als sie noch unberührt im Wald lauerten.
Aber hatte man sie erst ihrer Insignien entkleidet, des Schwertes und des
Schildes mit dem ermordeten Pferd, fielen sie auf sich selbst zurück, wurden
jung, schwach, furchtsam und allein, und sie rannten nach Hause zum Herd ihrer
Mütter. Genauso mußte es den zweitausend Soldaten im Affenmenschenfeldzug
ergangen sein. Nur daß diese nicht mehr rennen konnten. Das Rätsel, was dort
geschehen war, mußte gelöst werden, damit zumindest die Seelen dieser
Menschenopfer nach Hause zurückfinden konnten. Danach tat es Not, alle Söldner
und Soldaten des Kontinents ihrer Uniformen zu entledigen, sie aufzuwecken und
an sich selbst zu erinnern. Aber um so etwas bewerkstelligen zu können, müßte
man wohl König sein oder ein Gott oder besser noch: ein Stern.
    Nach einigen
Sandstrichen hatte Rodraeg eine Kerbe in das Rohr getrieben, aus der bereits
Wasser troff. Er stemmte sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf das hintere
Röhrenende, und das Holz barst dort, wo es durch die Kerbe geschwächt war.
Mitsamt dem wasserverspritzenden Rohrstück fiel Rodraeg ächzend ins Gras. Der
Nachstrom in der hölzernen Leitung war gekappt, der Bach sprudelte ohne
Einbußen bergab und wurde weiter flußabwärts nicht mehr durch Einleitungen
verdorben. Der Auftrag des Mammuts war erledigt – vorausgesetzt, daß die
Schwarzwachsquelle nicht noch ausbrach und die gesamte Gegend versengte.
    Rodraeg wollte zu
Deterio.
    Er tastete sich an der
Rohrleitung entlang durch die Nacht bis zum Talkesselrand zurück. Dann
arbeitete er sich an der Klippe entlang nach rechts, überquerte das unmerklich
vibrierende Höhlendach und fand die Stelle, wo die Arbeiter das schmutzige
Kühlwasser in den Trog geschüttet hatten. Hier führten Zugseile abwärts.
Rodraeg griff sich eins und ließ sich daran hinabrutschen.
    Unten war es
unnatürlich warm und feucht. Der scharf und beißend riechende Dampf erfüllte
mittlerweile das ganze Tal. Rodraeg konnte sich sein Hemd ausziehen, ohne zu
frieren, und es sich vor Mund und Nase binden. Er nahm eine verloschene Fackel
aus einem umgestürzten Feuerbecken und entzündete sie neu. Mit dem Licht
bewaffnet, wagte er sich vor in den schwerfälligen Nebel. Der Boden rumpelte
und stöhnte. Niemand schippte mehr Wasser.
    Er fand Deterio vorne
am Gittertor. Die Arme des Aldavaers ragten hilfesuchend, aber schlaff durch
die Metallstäbe nach draußen. Die Augengläser fehlten. Deterio war klatschnaß, am
Gitter nach Luft schnappend, zusammengebrochen. Rodraeg rüttelte am Tor. Nichts
zu machen. Selbst zwei Klippenwälder hätten das massive Eisengitter nicht
hochstemmen können. Er ging in die Hocke und berührte Deterios Hände.
    Â»Seid Ihr noch am
Leben?«
    Deterio regte sich
schwach und hustete. Es klang genauso wie Rodraegs Husten. Worte folgten nicht.
    Â»Ich habe die
Wasserzufuhr unterbrochen«, berichtete Rodraeg hilflos. »Jetzt dürfte
eigentlich nichts mehr schiefgehen. Das Wachs rumort zwar, wird jetzt aber wenigstens
nicht weiterhin

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