Die dunkle Quelle
Wandry schickte damals noch keine Schiffe die
Westküste hinunter, um den Skerber Piraten die Beute abzuentern. Die Glutsee
galt, von den ab und an auftauchenden Meeresungeheuern abgesehen, als sicher.
Dennoch gelang es dem Handelsschiff, auf dem ich fuhr, zu sinken. Nebel war im
Spiel, Rum, eine niemals verziehene Auspeitschung und der Stolz zweier
Kapitänsanwärter, die sich keine Fehler eingestehen wollten. Vor der Küste des
südwestlichen Regenwaldes liefen wir auf ein Riff. Das angeschlagene Schiff
wurde in einen Mahlstrom gezerrt, der sich zwischen zwei Felsen gebildet hatte.
Ringsum schäumte das Meer von seltsamen Haien, die wie gelbe Schlangen
aussahen. Es war entsetzlich. Als der Schiffsrumpf gegen einen der Felsen
geschleudert wurde, zerbarst er, als wäre er aus Zahnstochern zusammengeleimt.
Ich fand mich im Wasser wieder, um mich her Trümmer, schreiende Seefahrer und
rasender Nebel. Halb ohne BewuÃtsein bekam ich ein leeres Faà zu greifen und
hielt mich daran fest. Das Meer überschlug sich mit dem Gebrüll einer Schlacht.
Was dann geschah, weià ich nicht mehr. Als ich wieder zu mir kam, lag ich im
Wurzelwerk des Regenwaldes, umgeben von Takelung, Treibholz und ein paar
gestrandeten Haien. Eine Flutwelle muÃte mich über die Klippe nach oben gespült
haben. Die Klippe fiel zwanzig Schritt weit senkrecht ab. Nie hätte ich dort
hinaufklettern können, noch hatte es ein anderes Besatzungsmitglied geschafft.
Ich war der einzige Ãberlebende der âºKhestâ¹.«
»Die âºKhestâ¹Â«, murmelte
Rodraeg nachdenklich. »Den Namen kenne ich. Das war kurz bevor ich die
Sonnenfelder verlieÃ, um drei Jahre lang umherzureisen. Die âºKhestâ¹ hatte auch
mit Pelma Handel getrieben, wo ich öfters gewesen bin. Es hieÃ, das Schiff sei
verschwunden. Spurlos. Kein einziges Wrackteil wurde jemals gefunden.«
»Delphior hat seine
Hand aus dem Wasser gestreckt und das Schiff mit zu sich hinabgenommen in das
dunkle Reich der Tiefe«, ergänzte Hellas. »Ich habe die Geschichten auch
gehört, als ich dreizehn oder vierzehn war.«
»Wie dem auch sei«,
fuhr Smoi fort. »Jedenfalls hatte ich das Wasser überlebt. Aber wie sollte ich
den Regenwald überleben? Um mich nicht zu verirren, wollte ich anfangs an der
Küste entlanggehen, aber das war unmöglich. Immer wieder stieà ich auf
Mündungen und Salzwasserbuchten. Um nicht zu verdursten, muÃte ich ins Innere,
nach Wasserstellen suchen. Der Wald war feucht in dieser Jahreszeit. Regen
tropfte unablässig von den Blättern. Geräusche überall. Die Pflanzen waren wie ein
Labyrinth, das sich andauernd verschob. Ich sah Tiere an Bäumen hängen, die wie
Heuschrecken aussahen, aber die GröÃe von Katzen hatten. Schon nach zwei
Stunden hatte ich mich rettungslos verlaufen. Selbst in der Nacht waren keine
Sterne zu sehen, an denen ich mich hätte orientieren können, denn das
Blätterdach verhüllte alles. Ich war verloren, preisgegeben dem Verschmachten
oder Gefressenwerden. Zwei Tage irrte ich lallend herum, ernährte mich von
blauen Pilzen, trank aus wurmwimmelnden Regenmulden und schlief in den
Astgabeln moosbehangener Bäume, um mich vor dem zu schützen, was am Boden
raschelte und krabbelte. Am dritten Tag war ich kurz davor, meinem Leben ein
Ende zu machen. Schon seit Stunden hielt sich eine Horde seltsamer,
fleischfressender Ãffchen in meiner Nähe auf. Warum sollte ich ihnen nicht
meinen Leib überantworten, bis nichts mehr davon übrig war, genau wie von der
âºKhestâ¹? Doch plötzlich sah ich die Gesichter. In Baumstämmen. Gesichter von
Menschen. Sie lieÃen sich im gemaserten Holz sehen und verschwanden dann
wieder. Hatte ich bereits den Verstand verloren? Ich weià es nicht und werde es
auch nie erfahren. Aber die Gesichter, die sich drehenden Köpfe, konnte ich
genau erkennen. Nur etwa jeder zehnte Baum bekam ein solches Gesicht. Ich
folgte ihnen. Sie nickten mir zu, wiesen mir eine Richtung.«
»Was waren das für
Gesichter?« fragte Hellas. »Die Gesichter der ertrunkenen Schiffsbesatzung?«
»Ich weià es nicht.
Einige wenige kamen mir bekannt vor, aber viele trugen auch die Züge
schwarzhäutiger Menschen. Einmal glaubte ich, das Gesicht einer Untergrundfrau
in einem umgestürzten Urwaldbaum zu erkennen. Ein andermal ein mir unbekanntes
Kind. Ich dachte nicht über die
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