Die dunkle Quelle
suchen?«
»Ja.«
»Wie wäre es mit Niers?
Ich denke, er hat ziemlich gute Nerven.«
»Mal sehen. Ich frage
ihn morgen früh.«
18
Die Köpfe von Oobo
Niers wurde schon vor
dem ersten Hahnenschrei munter, und da die Hütte nur einen Raum hatte, gelang
es ihm nicht, so leise zu sein, daà die anderen nicht ebenfalls aufwachten.
Rodraeg war gerade erst eingeschlafen, nachdem er die Nacht über kaum ein Auge
zubekommen hatte. Er machte sich Sorgen, weil er im Schlaf nicht kauen konnte
und die dunkle Quelle in diesen Stunden in ihm wuchern würde. Auch hatte er
merkwürdig farblose Wachträume von gleiÃendem Landschaftsfeuer, einem vor
Krankheit taumelnden Heer in karstigem Feindesland, von Deterio, der mit einer
Schaufel gegen die Flut ankämpfte, und zehn herausgeputzten Adeligen, die sich
im Park von Schloà Figelius fröhlich lachend eine rote Schneeballschlacht
lieferten. Es war noch dunkel drauÃen, als er und Hellas und Niers
umeinanderstolperten und im Licht einer Laterne die Reste der Griebenfladen
zwischen sich aufteilten. Bestar schlief unruhig, mit bebenden Lippen, aber da
er nichts essen und trinken durfte, wollten sie ihn so lange wie möglich ruhen lassen.
»Niers?« fragte
Rodraeg. Er hatte schon wieder einen Halm zwischen den Zähnen und suchte nach
schönen Worten, aber die hatte er in der Nacht alle zergrübelt. »Wir könnten
beim Mammut einen Waldläufer gut gebrauchen.«
»In Warchaim?«
»Ja. Wir haben dort ein
Häuschen, in dem hat jeder ein eigenes Zimmer. Aber allzu lange sitzen wir nie
im Haus herum. Kommt ein Auftragsbrief, reisen wir los. Wohin auch immer.«
»Danke für das Angebot,
aber das wäre nichts für mich. Ich bin hier Waldläufer. Hier kenne ich mich
aus. Das ganze Gebiet zwischen Terrek und Chlayst bis hoch zum Wildbart ist
mein Zuhause. In den Klippenwäldern zum Beispiel« â er deutete mit dem Daumen auf
Bestar â »müÃte er mich wahrscheinlich andauernd retten.«
»Das macht doch nichts.
Hellas und ich finden uns auch nicht überall zurecht. Aber ein Waldläufer kann
mit der Natur umgehen, kennt sich mit Tieren und Pflanzen aus. So jemand wäre
gut für uns.«
Niers lächelte
bescheiden. »Ich würde nicht behaupten, daà ich mich mit vielem auskenne. Was
weià ich über die Tiere des Larnwaldes? Nichts. Ãber die Pflanzen der
Regenwälder? Nichts. Ãber die Berge von Nekeru? Nichts. Falls euch ein weiterer
Auftrag hierherführen sollte, will ich euch gerne zur Verfügung stehen. Aber
bis dahin bin ich der Ansicht, daà weder die Stadt Warchaim noch fremde Länder
das richtige für mich sind.«
Rodraeg nickte.
»Schade. Falls du es dir anders überlegst â du weiÃt, wo man uns finden kann.«
»Gibt es hier
eigentlich Drachen?« unterbrach Hellas das nachdenkliche Schweigen.
»Ja. Durchaus. Selten
und wenige, aber ja. Warum?«
»Auf dem Hinweg
Richtung Terrek, im Regenmond, da war mir, als hätte ich einen Bartendrachen
aufsteigen sehen, in groÃer Entfernung. Die anderen haben mir nicht geglaubt.«
Niers lächelte wieder.
»Das war Iddni. Er ist der einzige Bartendrache hier in der Gegend.«
»Er hat einen Namen?«
staunte Rodraeg.
»Ja, seit fünf
Menschengenerationen. Damals war Iddni noch klein und gehörte einem
wunderlichen alten Mann, der im Wald lebte und mit Scherenschnittfiguren
Legenden erzählte.«
»Und Iddni ist nie
gejagt worden? Ist er denn nicht gefährlich?«
Niers zuckte die
Schultern. »Er ist ein Bartendrache, hat also keine Zähne. Bartendrachen ernähren
sich von Mückenschwärmen, Blütenpollen und Moosstaub. Weshalb sollte man ihn
jagen?«
Rodraeg war
beeindruckt. Vor seiner Zeit in Kuellen hatte er viel vom Kontinent gesehen,
von Josega im Süden bis Hessely im Norden, von Skerb im Westen bis zum Wildbart
im Osten, aber womöglich war er nie lange genug geblieben, um die geheimeren
Geschichten dieser Orte zutage zu fördern.
An der Tür ertönte ein
zaghaftes Klopfen. DrauÃen färbte die aufgehende Morgensonne Bäume und Dächer
mit zartem Rot.
»Das ist Benter Smoi,
der Händler, der euch nach Hause bringt«, erklärte Niers und ging öffnen.
Benter Smoi war ein zierlicher Mann mittleren Alters mit einem sorgfältig
gestutzten Kinnbart und einer spiralgemusterten Wollmütze auf dem
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