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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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daß er sie an
Rodraeg verwiesen hatte. Kiara und Naenn dagegen waren eher verhalten
zueinander, zwar höflich, aber nicht herzlich. Die ernste Naenn in ihrer
schlichten, stabilen Reisekluft und die mütterlich-warmherzige Kiara in ihren
verzierten Gewändern paßten nicht recht ins selbe Gemälde und ließen sich das
durch virtuose Winzigkeiten spüren. Um etwaigen Peinlichkeiten vorzubeugen,
drängte Rodraeg zum Aufbruch. Kiara reichte ihm ein Proviantpaket. »Mit Sachen,
die dir schmecken.« Sie hatte es selbst zusammengestellt, nicht von der
Küchenhilfe schnüren lassen, und zum Abschied küßte sie Rodraeg – vielleicht,
um Naenn zu ärgern – auf die frischrasierte Wange. Rodraeg drückte Baladesar,
der verlegen seine Augengläser putzte, und die Kinder. Dann ging er mit Naenn
davon, durch den Trubel der Stadt nach Südosten, durch das waffenverzierte
Senchak-Tor und unter den Blicken der königlichen Wachgardisten auf die Straße
Richtung Warchaim.

6

Das Haus des Mammuts
    Â»Warum fahren wir
eigentlich nicht wieder bei einem Händler mit?« fragte Naenn, als hinter ihnen
die Türme des Königspalastes im Dunst verschwammen.
    Â»Das können wir gerne
machen. Ich habe nur keinen Sinn darin gesehen, mich im Handelskontor von Aldava
nach einer Mitreisemöglichkeit zu erkundigen. Erstens hätte das Stunden
gedauert, und zweitens kenne ich die Händler nicht, die von hier aufbrechen.
Bei Hinnis wußte ich, daß wir gut aufgehoben sind. Aber würdet Ihr Euch jedem
Geschäftemacher ohne weiteres anvertrauen?«
    Â»Dann machen wir es so:
Wir schauen uns alle Wagenbesitzer an, die in unsere Richtung fahren, und
fragen nur die mit den freundlichsten Gesichtern.«
    Â»Ich vertraue da auf
Euch«, lächelte Rodraeg. »Ihr könnt nicht nur Gesichter lesen, sondern manchmal
auch Gedanken und Gefühle. Wenn Ihr also sagt, jemand ist in Ordnung, dann ist
er wahrscheinlich in Ordnung.«
    Naenn dachte eine Weile
nach. Dann fragte sie: »Habt Ihr Euch schon Gedanken darüber gemacht, wie Ihr
die Leute für die Einsatzgruppe aussuchen wollt?«
    Â»Noch nicht. Erstmal
muß ich mir Warchaim ansehen und was es zu bieten hat. Alles Andere ergibt sich
dann vor Ort.«
    Je weiter sie
vorankamen, desto mehr hob sich Rodraegs Stimmung. Aldavas Dunstglocke hatte
sich über ihn gelegt und ihn verunsichert mit Anwandlungen von familiärer
Idylle, Wohlstand, Schreibaufgaben im Schatten des Königspalastes und
festgefügten Konturen. Jetzt, da er wieder draußen war und die Luft mit jedem
Schritt mehr nach Frühling und Wärme und unbestellten Wiesen roch, kam ihm
Aldava wieder ähnlich unwirklich vor wie damals, nachdem er aus den
Sonnenfeldern zurückkehrte. Die Hauptstadt war wie eine Krake, sie umschlang
einen und blendete mit Tinte, aber wenn man ihr entkam, vermißte man nichts
mehr. Als Naenn ihn gegen Mittag nach Kiara fragte, antwortete er in Gedanken
versunken: »Kiara war womöglich der zweitbeste Lebensweg, den das Schicksal mir
je angeboten hat.« Naenn fragte nicht weiter.
    Am frühen Nachmittag
taten sie sich mit einem jungen Händler namens Manro Sengzy zusammen, der auf
einem von einem Ochsen gezogenen Zweiradwagen gesäuertes Kraut transportierte,
und dessen Ochse Oto dermaßen genügsam war, daß er auch nachts noch weiterzog,
während sie zu dritt auf dem Kutschbock vor sich hindösten. Zwei Tage ging das
gut mit Manro Sengzy, bis Naenn den für Rodraeg kaum wahrnehmbaren
Sauerkrautgeruch nicht mehr ertragen konnte. Erst wurde ihr nur übel, und nach
einigen weiteren Stunden kippte sie beinahe ohnmächtig vom Wagen, so daß
Rodraeg dem erschrockenen Manro nur erklären konnte, daß alles in Ordnung sei
und er ruhig ohne sie weiterfahren solle, Naenn sei krank und bräuchte ein oder
zwei Tage Ruhe.
    Schweren Herzens
machten sich Manro und Oto von dannen, und Naenn erklärte Rodraeg mit
verzerrtem Gesicht, wie ihr »dieser widerliche Geruch durch sämtliche Poren der
Haut gekrochen sei« und wie unverständlich sie es fand, »daß Menschen so etwas
Entsetzliches freiwillig essen.« Rodraeg sagte nur: »Wieso? Das ist gesund und
völlig ohne Fleisch«, und: »Jetzt könnt Ihr nachempfinden, wie es mir mit dem
Feenrauch erging.« Tatsächlich ließen sie es für diesen Tag gut sein und
machten es sich in einem windschiefen,

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