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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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und nahm sich seiner an. Sie ermöglichte ihm eine Schulausbildung,
zuerst in Siberig, dann in Gagezenath. Cajin wurde in einem Tinsalt-Tempel im
Lesen und Schreiben unterrichtet. Was man ihm auf Ildes Anordnung hin niemals
beigebracht hat, ist das Kämpfen. Von seiner Herkunft und Geburt her müßte er
eigentlich ein Krieger werden oder ein Mörder, gezeugt unter Gewalt und zur
Welt gekommen unter Hingeschlachteten. Aber Ilde sagt, man kann jeden Menschen
vor dem Schwerte retten, wenn man sich nur früh genug seiner annimmt und ihm
beibringt, was Nächstenliebe ist.«
    Â»Um ihn vor dem
Schwerte zu retten, sollte man ihn vom Schwerte fernhalten. Aber wir werden in
diesem Haus eine kämpfende Truppe bilden, und selbst ich führe ein riesiges
Schwert mit mir.«
    Â»Aber Cajin soll
niemals mit der Gruppe gehen. Unter gar keinen Umständen. Er ist für das Haus
zuständig, kümmert sich ums Heim, während alle anderen auf Reisen sind. Du bist
das Herz dieser Gruppe, ich bin Augen, Ohren und Mund, die von dir ausgesuchten
Männer sind Arme und Beine, und Cajin ist das Rückgrat.«
    Â»Weiß er eigentlich um
seine Herkunft?«
    Â»Nein. Der Kreis weiß
es. Ich. Und jetzt du. Das sollte genug sein.«
    Â»Ich hoffe, daß das
funktioniert. Ich hoffe es wirklich.«
    Naenn blickte an ihm
vorbei auf das mondsichelbeschienene Land. »Wenn du dich jetzt hinlegen
willst«, flüsterte sie, »werde ich wachen. Ich habe genug geschlafen.«
    Rodraeg berührte sie an
der Schulter und verzog sich nach hinten ins Stroh.
    Am folgenden Tag
nieselte es leicht aus einem zinnfarbenen Himmel, aber nicht so unangenehm, daß
sie sich hätten unterstellen müssen. Sie folgten der Straße durch hügeliges
Grasland.
    Rodraeg war tief in
Gedanken versunken. Ihn besorgte, daß er nicht seine gesamte Unterredung mit
dem Kreis im Gedächtnis hatte. Was, wenn er in Warchaim bestimmte Anweisungen
mißachtete, weil er sich nicht mehr an sie erinnern konnte? Wie peinlich wäre
es, Naenn nach dem genauen Wortlaut der Gespräche zu fragen? Was für ein Licht
würde das auf ihn werfen? Warum hatte dieser Feenrauch in seinem Kopf überhaupt
solche Verwüstungen angerichtet?
    Er beschloß, mit Naenn
darüber zu reden.
    Â»Der Feenrauch hat mir
in den Katakomben stark zugesetzt«, begann er.
    Â»Weil es das erste Mal
für dich war, wahrscheinlich.«
    Â»Meinst du, man gewöhnt
sich mit der Zeit daran?«
    Â»Nicht jeder«, lächelte
Naenn. »Vielleicht war es auch ein Test von Riban. Hättest du ein doppeltes
Spiel gespielt, als Spitzel der Königin oder mit sonstigen unlauteren
Absichten, wenn dein Herz und deine Seele getrübt gewesen wären von Lüge und
Verrat, dann hättest du den Rauch überhaupt nicht ausgehalten.«
    Â»Aber ich bin beinahe
zusammengeklappt! Was sagt das über mich aus?«
    Â»Glaub mir: Deine
Reaktion war vollkommen natürlich für einen Menschen, der die letzten Jahre
überwiegend in einer Schreibstube verbracht hat. Je mehr man sich draußen in
freier Natur aufhält, desto weniger nimmt man Feenrauch wahr.«
    Â»Noch ein Grund also,
weshalb Leribin mir gegenüber so argwöhnisch war. Weil ich mich von der Natur
schon fast zu weit entfernt habe und ein Kleinstadtbürokrat geworden bin.«
    Â»Belaste dich nicht
unnötig selbst. Auch Riban Leribin hat die letzten Jahre überwiegend in seinem
Turm verbracht. Seine Gründe sind nachvollziehbar, und an deinen ist auch
nichts auszusetzen.«
    Â»Er hat gegen mich
gestimmt.«
    Â»Ã„rgert dich das?«
    Â»Ich weiß nicht. Ja,
wahrscheinlich. Es verunsichert mich. Er ist doch der Gründer.«
    Â»Er hat gegen dich
gestimmt, damit du nicht selbstzufrieden wirst. Das ist der größte
Charakterfehler der Menschen: Selbstzufriedenheit. Wenn du Riban fragen
würdest, welcher seiner Eigenschaften er sein schweres Los zu verdanken hat, würde er
antworten: Ich war zu selbstzufrieden, um meine Gegner ernst zu nehmen. Vor
diesem Schicksal will er dich bewahren, indem er dir selbst innerhalb des
Kreises einen Widerhaken bietet, mit dem du dich auseinandersetzen mußt.«
    Â»Bei dir klingt er
immer so väterlich. Ist dir nie der Gedanke gekommen, daß er …« – Rodraeg
wagte kaum weiterzusprechen, als er ihren stirnrunzelnden Blick sah –»daß er
uns alle manipuliert? Den Kreis? Dich?

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