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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Tinsalts
gefiederte Kinder, dann ist der Frühling auch laut und verspielt, ganz anders
als der stille Winter. Ich weiß es nicht. Ich weiß so wenig.
    Seitdem ich ein Kind
war, habe ich nicht mehr zu den Göttern gesprochen. Ich habe vergessen, ob es
Formeln dafür gibt und Riten, oder ob man die Hände aneinanderlegen muß oder
sie falten, aber meine Großmutter hat einmal gesagt, daß man beim Beten nichts
falschmachen kann, weil es ein Gespräch mit der Ewigkeit ist, und die Ewigkeit
bedeutet Geduld. Ich würde gerne, jetzt, da ich für den Kreis arbeite und für
Naenn, die vier Göttertage nutzen, um mich mit euch Göttern wieder vertraut zu
machen. Die Tage nutzen, um besser verstehen zu lernen, worum es hier geht, und
was ich hier eigentlich tun soll. Ich werde also im Sommer mit Lun sprechen, im
Herbst mit Bachmu und im Winter mit Hendelor. Ihr anderen seid bitte
nachsichtig, vielleicht finde ich im nächsten Jahr auch zu euch einen Pfad.
    Arisp, Frühling, Beginn
aller Dinge. Ich stehe am Anfang und weiß nicht wohin. Ich bin im Begriff, ein
Verbrechen zu begehen, eine Fabrikation anzugreifen, Gesetze zu brechen, mir
Ärger einzuhandeln, der für mehr als nur ein Menschenleben reicht. Ich ziehe
auch andere mit hinein. Möglicherweise wird es sogar Tote geben. Aber wofür das
alles? Für den Kreis? Ich traue Riban Leribin nicht. Die Bäuerin und den
Untergrundmann kenne ich kaum. Dem Schmetterlingsmann bin ich noch nie
begegnet. Warum tue ich, was diese vier mir befehlen, obwohl ich viel weniger
für diese Aufgabe geeignet bin als sie selbst? Ich traue Cajin und Naenn, aber
die sind jetzt nicht bei mir. Die, welche mich begleiten, sind wild und
kindisch auf der einen, verschlossen und unheildräuend auf der anderen Seite.
Unberechenbar erscheinen sie mir alle. Wie lachhaft ist es, daß ich sie
anführen soll. Anführen wohin?
    Mein einziger
Anhaltspunkt, mein Leitstern ist ein Bach, der getrübt wird. Getrübt wodurch
und wie stark – ich weiß es nicht. Es gibt eine Bodenschatzbohrung, die
womöglich mehr herausreißt aus der Erde, als diese freiwillig zu geben bereit
wäre. Ich weiß es nicht. Wer steckt dahinter, in wessen Auftrag geschieht dies
alles, wie ist die Bohrstelle abgesichert, wie kann man sie stillegen? Ich weiß
es nicht. Ich weiß nichts. Aber ich ziehe los und gehe hin mit einer Handvoll
Fremder, die möglicherweise im Ärgermachen begabter sind als im Friedenstiften.
Jeder von ihnen hat schon Menschen getötet. Ich noch nie. In unserer
Abenteurerzeit haben Baladesar und ich ab und zu etwas gestohlen, zum Essen,
oder Milch, und einmal haben wir auch einen Leichnam, den wir auf einem Weg
gefunden haben, beraubt, bevor wir ihn bestattet haben. Wir haben auch Blut
vergossen. Ich war in den einen oder anderen Handstreich verwickelt. Aber ich
habe nie jemanden umgebracht. Ich möchte auch nie jemanden umbringen. Ich weiß
nicht, ob die Aufgaben, die Naenn und der Kreis mir zugedacht haben, überhaupt
lösbar sind von jemandem, der Gewalt so weit von sich weist wie ich. Vielleicht
werden wir genau daran scheitern. An mir. Oder an dem Abstand, der zwischen mir
und meinen Gefährten besteht.
    Ich frage mich, was ich
hier mache und warum. Ich frage mich, wie ich hierhergeraten bin. Aber wenn ich
jeden einzelnen der vergangenen dreißig Tage, die mich hierher geführt haben,
vor mein inneres Auge rufe, dann sehe ich an keinem dieser Tage einen Augenblick,
an dem ich mich anders hätte entscheiden können oder müssen. Von dem Moment an,
als Naenn durch eine verschlossene Tür in mein Leben trat, hatte ich eigentlich
keine Wahl mehr.
    Arisp und ihr anderen –
ob es euch nun gibt oder nicht, ob ihr der Vorstellungskraft von Dichtern
entsprungen seid oder tatsächlich all dies geschaffen habt, was wir die Welt
und das Leben nennen – ich will nur, daß ihr begreift, daß ich schwach bin und verwirrt.
Daß die Fehler, die ich in Zukunft begehen werde, nicht aus Mangel an Willen
entstehen, sondern aus Mangel an Weisheit. Ich will, daß ihr versteht, daß ich
zwar mein Bestes geben werde, um alles, was an mich herangetragen wird, zu
einem guten Ende zu führen, mir aber auch klar ist, daß mein Bestes
wahrscheinlich nicht ausreicht.
    Falls ich mir entlang
meines Weges Zeichen geben wollt oder sonstwie helfend eingreifen möchtet, um
mich begreifen zu lassen, was ich

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