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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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nichts zu sehen, und Bestar saß
mit stoppelbärtigen Landjugendlichen an einem Tisch und spielte das
ekelerregendste und sinnloseste Spiel, das Rodraeg je gesehen hatte. Warme
Erbsensuppe und Bier wurden in einer Schüssel zu einer blasenwerfenden Soße
vermischt, das Ganze dann in Humpen gefüllt, und wer die meisten Humpen
leertrinken konnte, ohne sich und die Sitznachbarn dabei vollzukotzen, war der
Held des Abends. Bestar war schon über und über mit Erbsbier beschmaddert und
gerade im Begriff, seine letzten beiden Kontrahenten unter den Tisch zu
rülpsen, als Rodraeg der Geduldsfaden riß. Er sprang auf, stürmte auf Bestar
zu, packte den Hünen am Kragen, riß ihn hoch, schüttelte ihn mit den Worten
»Sag mal, schämst du dich denn überhaupt nicht?« und zerrte ihn hinter sich her
zu einer Pferdetränke. Dort schubste er den völlig überrumpelten Klippenwälder
hinein und tauchte ihn mehrmals unter, bis Bestar prustete und hustete wie ein
Ertrinkender. Erst dann half Rodraeg ihm wieder aus der Holzwanne und fuhr mit
seiner Standpauke fort: »Ich kann das nicht verstehen. Wir sind doch nicht zum
Spaß unterwegs! Wir haben eine wichtige und gefährliche Aufgabe vor uns, und
bei jedem sich auch nur halbwegs bietenden Anlaß laßt ihr euch gehen und
besauft euch bis zum Umfallen. Ich habe euch nicht als Sauf- und Raufbolde
angeheuert, ich muß mich zur Abwechslung auch mal auf euch verlassen können.
Unter welchem Tisch steckt Migal?«
    Â»Der ist schon lange
nicht mehr hier.« Bestar sah jetzt aus wie ein triefendes Häufchen Elend und
war durch den Schreck fast nüchtern geworden. Rodraegs Zorn verflog
augenblicklich, als ihm klarwurde, daß Bestar ihn wohl mit einem einzigen
Schlag hätte abschütteln können. Ein unvernünftiges, riesenhaftes Kind, aber
gutmütig und schuldbewußt, wie er jetzt so dasaß.
    Â»Was soll das heißen?
Wo ist er hin?«
    Â»Keine Ahnung. Er ist
mit allen beiden los.«
    Â»Allen beiden? Von wem
redest du?«
    Â»Na, die beiden Weiber.
Es war wie immer. Ich hab’ sie angequatscht, aber als sie Migal gesehen haben,
hatten sie nur noch Augen für ihn. Heute hätte er mir aber eine übriglassen
müssen, wegen Arisp.«
    Â»Was hat Arisp damit zu
tun?«
    Â»Mann, ist doch klar:
Frühling! Fruchtbarkeit! So feiert man in den Klippenwäldern das Arisp-Fest.
Mit Weibern halt.«
    Â»Oh, ich halt’s nicht
aus.« Rodraeg hielt sich mit beiden Händen den Kopf. Auch ihm machte der
Honigmet zu schaffen. »Das hattet ihr also die ganze Zeit im Sinn. Also müssen
wir sowieso bis morgen bleiben. Ich habe keine Lust, sämtliche Betten des
Dorfes nach Migal abzusuchen. Wir können von Glück reden, wenn wir nicht noch
Ärger mit gehörnten Ehemännern oder erbosten Vätern bekommen. Wasch dir die
Erbsensuppe gründlich runter, Bestar, und dann such dir einen Platz zum
Schlafen. Wir treffen uns morgen früh wieder hier am Platz.«
    Â»Was hast du denn vor,
Rodraeg?«
    Â»Ich will ein paar
Stunden allein sein. Einfach nur allein.«
    Rodraeg entfernte sich
vom lampionleuchtenden Festplatz, wo immer noch Lauten, Zithern, Blasebälge,
Trommeln, Pfeifen und Rasseln mit größtmöglicher Lautstärke malträtiert wurden,
damit ein zusehends torkeliger werdendes lustiges Landvolk in die feuchtkühle
Nacht hineinfeiern konnte. Die Erde auf den zwischen die Felder führenden Wegen
war satt und schwer. Wolken hielten sowohl das Licht der Sterne als auch das
des Mondes fern, so daß Rodraeg sich, kaum daß er die ausgelassene Musik nicht
mehr hören konnte, in fast völliger Dunkelheit auf einem unbestellten Feld
fand.
    Ihn erfüllte ein Gefühl
von Ratlosigkeit und Furcht, und er tat etwas, was er seit seiner Kindheit
nicht mehr getan hatte.
    Er betete.
    Â»Arisp, ich weiß nicht,
ob es dich gibt, und falls ja, ob du mich hören kannst. Aber es erscheint mir
richtig, mich an dich zu wenden, heute, an einem Tag, wo der ganze Kontinent
dich feiert. Ich weiß nicht, ob diese Feiern angemessen sind. Mir kommen sie zu
laut vor, zu fröhlich und zu selbstbezogen für etwas so Mächtiges und
Urgewaltiges wie den Frühling. Vielleicht sollte man einfach nur Wasser
vegießen wie Regen oder langsam die Hände in das Erdreich vergraben.
Andererseits: Wenn nach dem Winter die Vögel anfangen zu zwitschern,

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