Die dunkle Schwester
über Tanias Vorstellungsvermögen.
»Ich muss hier raus«, stieß sie hervor und drehte sich zu Eden um. »Bist du jetzt nahe genug, um seine Gedanken zu lesen?«
Eden saß da, eine zitternde Fellkugel, ihre lange Nase auf den Hexenkönig gerichtet, die Augen weit aufgerissen. Angestrengt tasteten ihre Schnurrhaare in der Luft. Das ging eine Weile so, dann ließ sie den Kopf sinken und sah Tania an.
»Alles vergebens!«, seufzte sie. »Sein Geist bleibt mir verschlossen. Ich kann nicht zu ihm durchdringen.«
»Und was ist mit den anderen?«, fragte Tania. »Warum versuchst du es nicht bei denen?«
»Die anderen? Die haben keine Gedanken. Ihr Geist ist tot, sie sind nur von dem einen Wunsch beherrscht, ihrem Meister zu gehorchen.«
»Und was machen wir jetzt?«
Edens schwarze Rattenaugen funkelten ratlos. »Ich weiß es nicht.«
Tania starrte zu Rathina und dem grausamen Hexenkönig hinüber. Eden hatte versagt. Das Ganze war nichts als Zeitverschwendung gewesen.
Plötzlich trat eine Elfenlady in zerlumpten Gewändern auf das Podest, ein Tablett mit Speiseschüsseln und Weinkrügen in der Hand. Sie reichte Rathina das Tablett, aber die Prinzessin winkte mit ihrer weißen Hand ab. Dann hielt die Elfenlady ihr Tablett dem Hexenkönig hin. Dieser richtete seinen Blick auf sie, die Elfenlady erstarrte und ließ das Tablett klirrend zu Boden fallen. Der König hob die Hand und plötzlich stieg die Elfenlady in die Luft. Trotz des Lärms in der Halle verstand Tania jedes Wort, das der Hexenkönig sprach. »Wünscht Ihr ein wenig für uns zu tanzen, Mylady?«, fragte er mit einer Stimme, so kalt wie Eis bei abnehmendem Mond. »Wollt Ihr so gut sein und uns zeigen, wie hübsch Ihr Eure Füßchen zu setzen versteht?« Die Elfenlady drehte sich langsam in der Luft, und Tania stockte der Atem, als sie die Dame erkannte: Es war die schöne sanfte Lady Gaidheal.
Ihr Gesicht war aschfahl und starr vor Verzweiflung. Mit leerem Blick hing sie in der Luft, der Macht des Zauberers ausgeliefert. Die Grauen Ritter reckten die Hälse und starrten schadenfroh auf die Elfendame.
»Ein Paar schöne Flügel wären gewiss hilfreich für Euren Tanz«, spottete der Hexenkönig und schnippte mit der linken Hand. Lady Gaidheal schrie auf vor Schmerz, ihr Rücken krümmte sich, sie strampelte wild mit Armen und Beinen. Tania konnte kaum hinsehen, als plötzlich etwas Spitzes aus dem Rücken der Elfe hervorbrac h – dünne lange Fingerknochen, mit einem geäderten Leder bespannt, das die Farbe getrockneten Bluts hatte.
Es dauerte eine Weile, bis Tania begriff, was diese Gebilde waren: Fledermausflügel, eine grausige Karikatur der zarten schillernden Flügelchen, die an den Schultern der Elfenkinder wuchsen.
Lady Gaidheal krümmte sich vor Schmerzen, als die Horrorflügel sich entfalteten und knarzend auf- und niederflappten, dann stürzte sie mit einem einzigen erstickten Schrei zu Boden. Die Grauen Ritter johlten vor Schadenfreude. Die Flügel fielen über die reglose Gestalt und helles Blut breitete sich auf dem Boden aus. »Mir scheint, sie mochte ihre Flügel nicht«, sagte der Hexenkönig gleichmütig zu Rathina. »Ein wahrhaft armseliges Vergnügen, meine Liebe. Wohla n – wenn unsere Vögelchen nicht fliegen wollen, so werden wir ihnen einen schönen Käfig bauen, damit sie sich für uns das Herz aus dem Leib singen.«
Er stand auf, und sein Umhang teilte sich, sodass sein schwarz glänzendes Kettenhemd darunter zum Vorschein kam. Erst jetzt bemerkte Tania, wie groß von Gestalt der Zauberer war, größer als alle anderen Ritter. Mit ausgebreiteten Armen trat er an den Rand des Podests und sang Worte in einer Sprache, die wie Glassplitter in Tanias Ohren stachen. Gleichzeitig nahm sie eine seltsame Bewegung in der Luft wahr.
Aus allen Winkeln des Saales krochen dunkle Schwaden herbei, verschmolzen miteinander und kreisten langsam in der Luft, eine gewaltige Säule tanzender schwarzer Farbe. Dann erfüllte ein kratzendes Geräusch wie von Tierkrallen Tanias Kopf. Erschrocken hielt sie sich mit ihren Rattenpfoten die Ohren zu und plötzlich stieg ihr ein neuer Geruch in die Nase: scharf und gefährlich wie ein tödliches Gift. Der ruckartige Tanz der schwarzen Farbe verebbte, stattdessen bildete sich ein dunkles Gittermuster in der flirrenden Luft. Die Ritter konnten sich kaum halten vor Schadenfreude und grunzten triumphierend.
Die schwarzen Linien verwoben sich immer schneller ineinander und verhärteten, bis Tania auf
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