Die dunkle Schwester
einen Eisenkäfig starrte, der frei in der Luft schwebte. Blaugraue Fäden quollen aus dem Käfig hervor, verfestigten sich zu dicken Eisenketten, die sich im Handumdrehen über die Dachbalken schlangen. Der Hexenkönig senkte die Arme und der Käfig sackte leicht nach unten. Die Ketten rasselten und strafften sich unter der schweren Last.
Für einen Moment war es totenstill, dann brachen die Grauen Ritter in lautes Johlen aus, knallten ihre Schwertgriffe auf den Tisch, stampften mit den Füßen oder hämmerten mit den Fäusten auf Tische und Bänke ein, dass die Platten und Trinkbecher nur so hüpften. Die Bluthunde heulten aufgeregt dazwischen, sodass der Lärm bald ohrenbetäubend war.
»Das ist Metall«, stieß Tania entsetzt hervor und starrte auf den Käfig. »Wie hat er das nur gemacht?«
»Nur der Hexenkönig besitzt die Macht, Isenmort aus der Welt der Sterblichen herüberzuholen und nach seinem Willen zu formen«, sagte Eden mit zitternder Stimme. »Welche Teufelei hat er diesmal im Sinn?«
»Nun holt mir geschwind die hübschen Vögelchen!«, rief der Hexenkönig. »Ich wünsche ihre lieblichen Stimmen zu hören.«
Ein kleiner Trupp Grauer Ritter verließ den Saal. Die anderen johlten und grölten und hieben im Takt dazu mit den Fäusten auf den Tisch.
Die Ritter mussten nicht lange auf das teuflische Schauspiel warten, das der Hexenkönig vorbereitet hatte. Eine Schar gefangener Elfen wurde wie Vieh durch die Tür hereingescheucht. Tania sah den Schmerz und die Verzweiflung in ihren Gesichtern. Die Ritter standen jetzt alle von ihren Bänken auf und stießen die Elfen mit roher Gewalt in den schwebenden Käfig hinein. Isenmort versengte ihnen die Haut, doch ihre Schmerzensschreie gingen im rauen Gelächter der Grauen Ritter unter.
»Oh nein! Schrecklich, schrecklich!«, wisperte Eden und wandte sich ab. Doch Tania zwang sich hinzusehen. Ihr brach dabei fast das Herz, aber einer musste die Kraft haben, Zeuge dieser Tortur zu sein.
Als alle Gefangenen in den Käfig gezwängt waren, fiel die Eisentür scheppernd zu. Der Hexenkönig hob einen Arm und der Käfig schraubte sich an seinen langen Ketten in die Luft hinauf. Die gequälten Schreie der Elfen hallten in Tanias Kopf wider, und sie musste mitansehen, wie verzweifelte Eltern ihre Kinder hochhielten, um sie vor der tödlichen Berührung mit den Eisenstangen zu schützen. Sie erkannte den Ruderer, der sie beim Fest der Reisenden zur Königlichen Galeone übergesetzt hatte, und sie sah die Gärtnerin, mit der sie einmal geredet hatte, eine schöne junge Elfenfrau, die ein Beet mit leuchtend roten Blumen goss, während duftige weiße Schmetterlinge um ihren Kopf tanzten.
Tania drehte sich zu Rathina um. Die Prinzessin hielt den Kopf gesenkt, um dem schrecklichen Anblick zu entgehen. Aber schon war der Hexenkönig mit zwei Riesenschritten bei ihrem Thron. Er nahm Rathinas Kinn in die Hand und riss ihren Kopf hoch, sodass ihre Augen auf den schwankenden Käfig gerichtet waren. Ihr blasses Gesicht blieb unbewegt, als sie die Gefolterten aus ihrem Volk erblickte. Wie konnte sie nur so viel Leid ertragen? War ihr das alles gleichgültig?
Irgendwann hielt Tania es nicht mehr aus und wandte den Kopf ab, von tödlichem Hass gegen ihre Schwester erfüllt. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass der Hundegestank stärker geworden war. Eine der Morrigan-Kreaturen trottete schnüffelnd in ihre Richtung, die nasse Schnauze dicht am Boden.
Eden hatte den Hund auch gesehen und sie huschten schnell weiter unter den Tisch. Der Hund war jetzt nur noch eine Manneslänge von ihnen entfernt. Er hob den Kopf und schnüffelte, drehte seine Schnauze hin und her, als wollte er einen flüchtigen Geruch einfangen. Tania behielt ihn scharf im Auge, als er sich ihrem Versteck näherte. Die riesigen Pfoten ragten wie schwarze Berge über ihr auf. Hatte Eden sich getäuscht? Wurde ihr Geruch vielleicht doch nicht von dem Zauber verdeckt?
Tanias Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Kämpfen schien aussichtslos: Der Hund würde sie alle beide mühelos mit einem Happs verschlingen. Aber wenn sie aus ihrer Deckung stürzten, liefen sie Gefahr, von den Rittern entdeckt und zertreten zu werden, ehe sie das Loch in der Wand erreichten.
»Eden?«, flüsterte Tania. »Ich glaube, er kann uns riechen. Was sollen wir nur tun?«
Eden drehte ihren langen Kopf zu ihr herum und starrte sie verzweifelt an. »Was wir tun sollen, Schwester? Wir werden sterben. Das ist alles. Wir werden alle
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