Die dunkle Schwester
Cordelia auf ihr Pferd und sprengte davon.
Tania schwang sich ebenfalls auf ihr Pferd, und aus dem Augenwinkel sah sie, dass Edric und Zara bereits aufgesessen waren. Sie nahm die Binsenzügel in eine Hand und zog mit der anderen ihr Schwert. Sie sah die Entschlossenheit und die Kampfbereitschaft in den Gesichtern ihrer Gefährten, doch sie selbst hatte plötzlich aller Mut verlassen.
Wir sind so gut wie tot! Wir müssten zu Hunderten sein, um sie zu schlagen!
Dann hörte sie in Gedanken Edens Stimme. Es ist eine Wunschperle. Wenn du in Not gerätst, so nimm sie in deine Hand und wünsche dir, was immer du brauchst.
Ob die Wunschperle mächtig genug war, um eine ganze Armee zu besiegen? Tania stellte sich eine Flut von Elfenrittern vor, die hoch zu Ross den Hang herunterpreschten und die Grauen Ritter ins Meer warfen. Es war jedenfalls einen Versuch wert.
»Wartet!«, rief sie. »Es gibt noch eine andere Möglichkeit.« Hastig wühlte sie die Wunschperle hervor und wärmte sie in ihrer geschlossenen Hand. »Ich wünsche mir eine Elfenarmee!«, rief sie laut. »Ich wünsche mir, dass sie hier auf der Klippe auftaucht und die Grauen Ritter ins Meer wirft.« Dann riss sie ihren Arm herunter und knallte die Wunschperle mit voller Wucht auf die Steine.
Die kleine Kugel zerbarst in tausend Splitter. Ein seltsames Geräusch ertönte wie das leise Lachen Tausender zarter Stimmen und eine blaugrüne Rauchschlange stieg in den Himmel. Dann brauste ein Sturmwind durch die Luft. Tanias Kleider flatterten wild, die Haare peitschten ihr ins Gesicht. Fast wurde sie vom Pferd gerissen, als dieses sein Gewicht verlagerte und sich mit fliegender Mähne fester gegen den Fels stemmte.
Und plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte ein Heer von Elfenrittern auf. Sie trugen dieselben Krabbenpanzer wie die Burgwachen und jeder von ihnen war mit Speer oder Schwert bewaffnet.
Eine wilde Freude erfüllte Tania, als die Ritter ihre Pferde über den Klippenrand lenkten und zur Bucht hi-nunterpreschten.
»Kommt!«, rief Cordelia. »Wir müssen mit ihnen reiten! Die Schlacht ist eröffnet!«
Aber Zara ergriff sie am Arm. »Nein! Warte! Überlass es dem Geisterheer, das verfluchte Gesindel von Lyonesse niederzumachen, ehe wir unser Leben riskieren.«
Und so beobachteten sie von der Felsenklippe aus, wie die Elfenarmee über den steinigen Hang zur Burg hinabstürmte. Tania konnte kaum glauben, dass die Ritter nur eine Sinnestäuschung darstellten. Das Donnern der Hufe, das Klirren der Rüstungen, der ganze Schlachtenlärm, der weithin über die Bucht schallt e – all dies sollte nur eine Täuschung sein? Wie viele Ritter hatte ihre Wunschperle heraufbeschworen? Fünfhundert? Oder mehr? Tania wusste es nicht. Aber eines stand fest: Die Elfenarmee war viel größer als die der Grauen Ritter.
Kaum sahen die Grauen Ritter am landwärtigen Ende des Damms die Elfenarmee heranpreschen, da brachen sie den Kampf mit der Burgwache ab und flohen feige auf ihre Schiffe. Die restlichen Grauen Ritter drängten nach, viele sprangen ins Meer und wateten ans Ufer, keiner wagte es, sich der Elfenarmee entgegenzuwerfen.
Tania sah einen der Caer-Kymry-Ritter hoch in den Steigbügeln stehen. Er schwenkte sein Schwert, um seiner Truppe zu bedeuten, dass sie die Verfolgung aufnehmen sollten. Immer mehr Elfenritter strömten aus den Toren, galoppierten den Damm entlang und warfen sich auf die Ritter von Lyonesse, die in heller Panik flüchteten. Brennende Pfeile wurden auf die Schiffe abgefeuert. Einige fielen ins Wasser, aber andere fanden ihr Ziel.
»Ha, welch ein Sieg!«, rief Cordelia mit leuchtenden Augen. »Kommt, lasst uns an ihrer Seite kämpfen!« Diesmal hielt niemand die Elfenprinzessin auf, als sie ihr Pferd den Hang hinabtrieb. Tania, Edric und Zara preschten hinterher, sodass ihnen der Salzwind ins Gesicht peitschte.
Doch ehe sie das Schlachtfeld erreichten, geriet das Geisterheer ins Stocken und begann sich aufzulösen. Bald waren die Gestalten so durchsichtig, dass das Meer und der Strand durch sie hindurchschimmerten. Entsetzt beobachtete Tania, wie sich nach und nach der ganze Hokuspokus in Dunst auflöste.
»Nein, kommt zurück!«, rief sie, denn sie fürchtete, dass die Grauen Ritter frischen Mut fassen und sich erneut ins Kampfgetümmel stürzen würden. Aber die Armee von Lyonesse war geschlagen und würde nicht so schnell wieder aufstehen. Eines der beiden Schiffe brannte bereits lichterloh. Die Burgwachen von Caer Kymry hatten die
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