Die dunkle Schwester
erwiderte Eden. »Diese Macht besitze ich nicht. Und hätte ich sie, so würde ich sie nicht einsetzen.« Sie drehte sich zu Rathina um, die immer noch am Boden kniete. »Sag, Schwester, willst du mit uns sein am morgigen Tag? Willst du an unserer Seite kämpfen?«
»Pfui!«, schrie Sancha. »Soll nun alles vergeben und vergessen sein? Nie und nimmer!«
»Nein, das ist unmöglich«, sagte Cordelia. »Wie sollen wir ihr vertrauen? Wer sagt uns denn, dass sie nicht doch im Bann des Hexenkönigs steht und mit bösen Absichten gekommen ist?«
»Dem ist nicht so, bitte glaubt mir«, flehte Rathina. »Ich gebe euch mein Wort darauf.«
»Wie bist du denn dem Hexenkönig entkommen?«, fragte Tania.
»Er war von der morgigen Schlacht abgelenkt«, erzählte Rathina. »Er beriet sich mit seinen Hauptleute n – mit Gabriel Drake und den anderen Verrätern. Ich stellte mich, als sei ich müde und wollte zu Bett gehen. Dann bin ich an den Wachen vorbeigeschlichen.« Sie hob den Kopf und erwiderte Tanias Blick. »Ich lüge nicht«, sagte sie fest.
Hopie wandte sich an Eden. »Wäre es nicht leichtfertig, sie morgen in der Schlacht mitreiten zu lassen? Warum sollten wir ihr so weit trauen, Schwester?«
»Nicht nur leichtfertig, sondern geradezu wahnwitzig«, bestätigte Eden. »Doch seht nur: Rings um uns erwacht die Macht der Sieben. Willst du etwa nicht, dass wir diese Macht besitzen, wenn wir morgen gegen den Hexenmeister ziehen?«
Tania betrachtete die Stelle, auf die Eden zeigte. Das frische junge Gras und die blühenden Frühlingsblumen breiteten sich jetzt über den ganzen Zeltboden aus und bohrten sich durch die Teppiche, sodass überall grüne, gelbe und weiße Farbkleckse entstanden.
»Ist das die Macht der Sieben?«, fragte Cordelia. »Der Triumph des Lebens über den Tod? Das ist schön und bewegend, gewiss, aber wird es uns in der Schlacht helfen?«
»Ich weiß es nicht«, gab Eden zu. »Doch als unsere Mutter zu mir darüber sprach, betete sie, dass Rathina zu uns kommen würde. Wohlan, Schwester n – wollt ihr sie abweisen und in Ketten legen, oder wollt ihr, dass sie mit uns in die Schlacht reitet und uns hilft zu siegen?«
Plötzlich meldete sich Sancha zu Wort. »Rathina sollte bei uns sein«, sagte sie widerstrebend. »Der Sieg neuen Lebens über den schleichenden Tod von Lyonesse ist etwas Großes. Dieses Wunder wird unsere Ritter mit neuem Mut erfüllen und den Feind verwirren. Wir müssen diese Kraft nützen.« Sie stand auf und ging zu der knienden Rathina. »Steh auf«, befahl sie ihr.
Rathina richtete sich auf, den Kopf gesenkt, um Sancha nicht in die Augen sehen zu müssen.
»Sieh mich an!«, herrschte Sancha sie an.
Rathina hob den Kopf.
»Und jetzt hör mir gut zu, Schwester«, fuhr Sancha fort. »Du ahnst vermutlich nicht, wie viel Unheil du angerichtet hast.«
»Oh doch, ich weiß es«, murmelte Rathina. »Und ich bereue es zutiefst.«
»Nein!«, fauchte Sancha. »Nichts weißt du! Du hast nicht die geringste Vorstellung davon, wie tief die Wunden sein werden, wenn alles vorüber ist.« Für einen Augenblick versagte ihr die Stimme, dann fuhr sie fort: »Ich traue dir nicht, Rathina, doch ohne dich kann die Macht der Sieben nicht angerufen werden. Du wirst mit uns gegen das Pack von Lyonesse reiten, wenn morgen Früh die Sonne aufgeht. Aber solltest du Verrat im Sinn haben und noch mehr Unheil anrichten, Schwester, so wisse dies«, Sanchas Stimme war jetzt eiskalt, »ich werde dich niederstrecken mit eigener Hand. Und wenn ich dadurch mein Seelenheil verwirke, ich werde es tun!«
Ein Schauder lief Tania über den Rücken. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass Sancha ihre Drohung wahrmachen würde.
»So sei es«, sagte Eden. »Es ist spät, wir sollten nun alle zu Bett gehen.«
»Wo wird Rathina schlafen?«, fragte Hopie. »Und wer wird Wache bei ihr halten?«
»Sie schläft in meinem Zelt«, sagte Zara. »Und niemand wird sie bewachen. Wenn sie morgen Früh fort ist, wissen wir, dass sie die Unwahrheit gesprochen hat.«
»Ich danke euch«, murmelte Rathina. »Ihr sollt es nicht bereuen.«
»Sieh zu, dass dem so ist!«, sagte Hopie.
Rathina sah Tania an, die ihren Blick mitleidig erwiderte, doch Rathina schaute schnell weg.
Welche Albträume Rathina wohl peinigten? Tania konnte nur hoffen, dass sie im Kreis ihrer Schwestern die Kraft finden würde, ihre blinde Liebe zu Gabriel Drake zu überwinden. Sonst konnte sich Rathina als die tödlichste aller Gefahren entpuppe n
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