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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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ihre Nächte bisher immer in Lucilles Zimmer verbracht. Auf der Matratze am Boden, unter dem unerforschlichen Blick von Troll.
    Aus der Bar drang Klaviermusik. Der Hotelpianist hatte seinen Dienst angetreten.
    Ein Page ging durch die Lobby. Er trug eine Tafel an einem Stecken, auf der »Mr. Wellington« stand. Ab und zu ließ er eine Fahrradklingel schrillen, die am Stecken befestigt war. » Is it them?« schrie die alte Amerikanerin.
    Die beiden Herren in den Ohrenfauteuils erhoben sich. Jetzt erkannte sie Blank. Sein Partner, Dr. Geiger, und – Pius Ott.
    Auch Geiger hatte ihn gesehen. Er verabschiedete sich von Ott und kam zu Blank herüber. Ott winkte ihm von weitem zu und ging hinaus.
    »Erwartest du jemanden?« fragte Geiger.
    »Erst in einer halben Stunde, setz dich.«
    Geiger setzte sich. »Wie sind die Zimmer?«
    »Recht.«
    »Als ich einmal hier wohnte, waren sie etwas muffig. Aber das ist fünfzehn Jahre her.«
    »Du hast auch einmal hier gewohnt?«
    »Aus dem gleichen Grund wie du.«
    Blank war erstaunt. Eine Ehekrise hatte er Geiger nicht zugetraut. Seine Frau war ein alters- und geschlechtsloses Wesen, das von Berg unter vier Augen »Soldatenmutter« nannte.
    »Was hast du mit Ott zu tun?«
    »Es wird jeden Tag schwieriger, nichts mit Ott zu tun zu haben.« Geiger bestellte ein Glas Féchy. Sie schwiegen, bis der Kellner es brachte.
    »Er hält übrigens große Stücke auf dich«, bemerkte Geiger.
    »Das beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Warst du schon einmal in seinem Haus?«
    Geiger trank einen Schluck Wein. »Ja, erst kürzlich. Schrecklich, nicht?«
    »Kann man wohl sagen. Weißt du, warum er Fluri haßt?«
    »Eine Militärgeschichte.«
    Es entstand Unruhe, als ein Ehepaar mit drei Kindern die Lobby betrat und die alte Amerikanerin und ihren Begleiter abholte. Als sie gegangen waren, erzählte Dr. Geiger.
    »Ott verdiente seinen Leutnant ab, Fluri war sein Kompaniekommandant. Bei einer Schießübung wurde ein Waldarbeiter im Sperrgebiet tödlich verletzt. Ott war der verantwortliche Schießoffizier. Das Ende seiner militärischen Karriere.«
    »Deshalb haßt er Fluri?«
    »Er bestand darauf, daß Fluri mit ein paar hohen inspizierenden Offizieren vor den Sperrzeiten geschossen habe. Eine Behauptung, die Fluri vehement bestritt.«
    »Obwohl sie stimmte?«
    Geiger zuckte die Schultern. »Auf jeden Fall wurde Fluri danach auffällig rasch befördert. Er brachte es bis zum jüngsten Obersten der Armee.«
    »Wie lange ist das her?«
    Geiger rechnete nach. »Bald vierzig Jahre.«
    »Ott ist ein geduldiger Mann.«
    »Eine Jägertugend.«
    Pius Ott hatte Igor einen Umweg fahren lassen. Zu einem ganz bestimmten Wurststand im Rotlichtbezirk der Stadt. Igor kannte das Prozedere. Er ließ den Cadillac mit laufendem Motor stehen und holte eine Bratwurst mit Senf und Brot und einen Pappbecher Bier. Dann fuhr er zu einer kleinen Grünanlage in der Nähe, die als Drogenumschlagplatz berüchtigt war. Das erste Mal hatte Igor gedacht, Ott suche ein Mädchen oder einen Jungen vom Drogenstrich oder er brauche selbst etwas Stoff. Aber Ott saß einfach im Fond des Wagens, aß seine Wurst, trank sein Bier und schaute nicht einmal dem Treiben in der Anlage zu. Inzwischen glaubte Igor, daß sein Chef einfach manchmal Lust hatte, eine Bratwurst an einer gefährlichen Stelle zu essen. Wozu hatte man schließlich seinen Bodyguard.
    Heute schmeckte Ott die Bratwurst besonders gut. Das lag am Gespräch mit Geiger. Es war sehr aufschlußreich gewesen. Ott hatte ihm ein paar vertrauliche Informationen über Vorgänge hinter den Kulissen eines großen Brokers gegeben und war dafür mit ein paar Präzisierungen schadlos gehalten worden, die das Ausmaß des Schadens betrafen, den Fluri mit seinem ›Rußlandfeldzug‹ angerichtet hatte. Er würde gleich am nächsten Tag Schritte unternehmen, die etwas Bewegung in die Sache bringen sollten.
    Es drehten sich ein paar Köpfe, als Lucille das Restaurant des Imperial betrat. Sie war geschminkt wie eine Tempeldienerin und hatte das Haar mit einem orangenen Seidentuch zu einem Turm hochgebunden. Dazu trug sie eine ihrer gewagten Kombinationen aus verschiedenen asiatischen Trachtenteilen.
    Sie aßen die ersten grünen Spargel der Saison und frische, hausgemachte Ricotta-Ravioli mit Salbeibutter.
    Nach dem Essen, als er anstatt auf den Ausgang auf den Lift zusteuerte, fragte Lucille: »Wohin gehen wir?«
    »Überraschung.«
    Er führte sie durch die Beletage zu seiner Suite. Erst als er

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