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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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leeren Kohleneimer aus der Hütte, als ihm die Gruppe entgegenkam. Alle waren nackt.
    Urs Blank war nicht prüde. Er mied öffentliche Saunas und Nacktstrände aus ästhetischen Gründen. Nicht, weil er anderen seinen Anblick ersparen wollte. Er wollte sich den Anblick der anderen ersparen. Er war zwar nicht mehr so athletisch gebaut wie früher, aber seine Proportionen stimmten nach wie vor. Was man bei dieser Runde wirklich nur von Lucille behaupten konnte, mit der er, jetzt mehr denn je, lieber allein gewesen wäre.
    Er ging ins Tipi, zog sich leise fluchend aus und kam mit einem Handtuch, das er wie zufällig bei sich trug, in die Schwitzhütte zurück.
    Shiva sah aus, als ob sie meistens nackt herumliefe. Ihre Haut war wie das Waschleder, das sie vorher darüber getragen hatte. Und sie trug – Blank schaffte es nicht, es zu übersehen – die Schamhaare herzförmig rasiert.
    Joe sah nackt noch hagerer aus als angezogen. Unter einem Wusch grauer Schamhaare, um vieles dichter als sein Kopfhaar, baumelte ein welker Penis.
    Susi, die Lehrerin, besaß neben ihrer Vorliebe für halluzinogene Pilze noch ein weiteres Geheimnis: Ein durch seine Unbeholfenheit pornographisch wirkendes Tattoo aus dem Kamasutra in der Leistengegend, das sie beim Schwimmunterricht wohl mit einem einteiligen Badeanzug vor der Klasse verbergen mußte.
    Benny war ein überschlanker junger Mann und Blanks erste Begegnung mit einem männlichen gepiercten Bauchnabel.
    Pia und Edwin waren zum Glück so dick, daß ihre privateren Teile in ihren Hautfalten verschwanden.
    Joe goß Wasser auf die heißen Steine. Blank versuchte, sich mit Lucilles kleinen spitzen Brüsten vom Anblick der rasch in Schweiß ausbrechenden Körper abzulenken. Er war nicht der einzige, wie ihm ein kurzer Kontrollblick in die Runde bestätigte.
    Zwischen den Aufgüssen verbrannte Joe Minze, Oregano, Rosmarin und Hanf.
    Blank entspannte sich. Als sie nach einer halben Stunde ins eiskalte Wasser des Naturbassins unter dem Wasserfall tauchten, war es ihm schon egal, daß er das Handtuch in der Schwitzhütte vergessen hatte.
    Er fühlte sich frisch und sauber, als sie ins warme Tipi zurückkehrten und sich anzogen. Er setzte sich neben Lucille auf den Schlafsack und versuchte gehorsam, die kritisierende, urteilende innere Instanz auszuschalten. Das erwies sich als nötiger denn je.
    Vor Shiva stand ein kleiner Altar mit brennenden Kerzen, einem Pilz aus Bronze, einem Räucherstäbchenhalter, wie Lucille sie verkaufte, einem Teller mit verschiedenen Kräutern und Harzen und einem Tablett, das mit einem weißen Tuch zugedeckt war.
    Shiva murmelte Formeln und nahm das Tuch ab. Sie hielt das Tablett hoch über den Kopf, schloß die Augen, verharrte einen Moment in dieser Stellung und gab es dann Joe. Er musterte das Tablett und reichte es weiter.
    Urs Blank sollte sich noch oft daran zu erinnern versuchen, was er auf dem Tablett sah. Für ihn waren es getrocknete Pflanzenstücke. Rinde, Gemüse, Früchte oder von ihm aus auch Pilze. Sie besaßen weder eine Form noch eine Farbe noch eine Struktur, die auf irgendeine bestimmte Pflanze schließen ließen. Voneinander unterschieden sie sich – nach seiner Erinnerung – nur durch die Größe.
    Er reichte das Tablett an Lucille weiter. Sie studierte seinen Inhalt, blinzelte ihm zu und leckte sich die Lippen.
    »Drei kleine trockene Pilze enthalten etwa ein Gramm Psilocybin«, erklärte Shiva. »Je nach Körpergewicht braucht ihr mehr oder weniger«, sie warf Pia und Edwin einen vielsagenden Blick zu. »Ich, zum Beispiel, nehme vier.«
    Sie füllte ein Glas mit Wasser und warf drei Tabletten hinein. Das Wasser schäumte orange auf. »Reines Vitamin C. Überdeckt den Geschmack und verbessert die Wirkung.«
    Sie nahm vier der trockenen braunschwarzen Stücke vom Tablett, steckte sie in den Mund und begann zu kauen. »Kaut, solange ihr es durchsteht.«
    Sie schloß die Augen und kaute.
    »Wie eine Ziege«, raunte Blank Lucille zu. Sie legte den Finger auf die Lippen.
    Shiva kaute mit ausgebreiteten Armen, als ob es sich um einen gefährlichen Hochseilakt handelte. Endlich, als sich die ersten Anzeichen von Ungeduld im Tipi bemerkbar machten, griff sie zum Glas und stürzte es hinunter. Ab diesem Moment waren die Pilze freigegeben.
    »Wie viele nimmst du?« flüsterte Blank.
    »Vier.«
    »Dann nehme ich auch vier.«
    »Du bist zwanzig Kilo schwerer als ich, nimm sechs.«
    »Wie ist es?«
    »Wie LSD , aber schöner. Organischer.«
    »Und wie

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