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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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den Zimmerschlüssel ins Schloß steckte, verstand sie. »Du hast ein Zimmer gemietet.« Sie schien nicht besonders erfreut.
    Er führte sie durch die Suite, und sie bewunderte alles artig: Das große Marmorbad, den begehbaren Schrank, den Salon mit seinen Stilmöbeln, den Arbeitstisch mit Fax, das Telefon mit Direktanschluß, das Schlafzimmer mit dem großen französischen Doppelbett.
    Am Ende des Rundgangs öffnete er den Champagner, den er hatte bereitstellen lassen.
    »Hast du auch Wasser?« fragte Lucille.
    Er holte ein Mineralwasser aus dem Kühlschrank und erzählte, was es mit der Suite auf sich hatte.
    Lucille hörte schweigend zu. Am Schluß sagte sie: »Sie hat recht.«
    Blank verstand nicht gleich.
    »Es stimmt. Du lebst in deiner alten Welt mit dem einzigen Unterschied, daß du jetzt eine junge Freundin hast.«
    »Wie jeder Spießer Mitte vierzig, der es sich leisten kann«, ergänzte Blank.
    »Das weiß ich nicht. Ich kenne keine Spießer.«
    »Jetzt kennst du einen.«
    Lucille stand auf. »Laß uns gehen.«
    »Wohin?«
    »Zu mir.«
    »Ich dachte, du könntest hier schlafen.«
    »Pat schläft auswärts. Troll ist alleine.«
    Es war weit nach Mitternacht, als Blank erwachte. Lucille lag nicht neben ihm. Er stand auf und ging in den Korridor. Er hörte Lucilles Stimme in der Küche. Er öffnete die Tür und sah sie dort sitzen. Vor ihr auf dem Tisch saß Troll. Sonst war niemand im Raum.
    »Prrt mmmm wwwn prrt grrr«, sagte Lucille zu Troll. Das Kätzchen schaute sie ernst und verständig an.
    Lucille bemerkte Blank. »Katzensprache«, erklärte sie. Sie streckte ihm den halbgerauchten Joint entgegen, den sie zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Jetzt erst fiel ihm der Geruch auf. »Nein, danke«, sagte er.
    »Auch eine andere Welt zum Kennenlernen.«
    »Kenn ich schon.«
    »Hast du das gehört, Troll? Kennt er schon.«
    »Meine Generation hat den Joint erfunden.«
    »Dann setz dich und nimm einen Zug.«
    Blank setzte sich, nahm einen tiefen Zug, behielt den Rauch einen Moment in der Lunge und hustete ihn aus. Lucille lachte. »Der Entdecker des Marihuanas.«
    »Es ist schon eine Weile her.« Blank gab Lucille den Joint zurück.
    »Habt ihr viel gekifft, damals?«
    »Ein paar von uns schon.«
    »Du nicht?«
    »Nicht so.«
    »Und Trips? LSD ? Pilze?«
    »Nie.«
    Lucille schaute ihn ungläubig an. »Nie? Da lernst du wirklich eine andere Welt kennen.«
    Wohl unter der Wirkung des Marihuanas sagte Blank daraufhin: »Es ist nie zu spät.«

4
     
    Hinter jeder Kuppe tat sich ein neues Tälchen auf. Gepflegte Bauernhöfe zwischen blühenden Kirschbäumen, gesprenkelte Frühlingswiesen, eingefaßt von zartgrünen Laubwäldern, eine schneeweiße Mittellinie auf einer gewundenen Landstraße. Darüber ein Kinderbuchhimmel mit fünf verirrten Wolkenschäfchen.
    Sie fuhren mit offenen Fenstern und lauter Musik. Pink Floyd, Dark Side of the Moon. Lucille hatte die Kassette mitgebracht. »Die beste Trip-Musik der Welt«, hatte sie behauptet.
    »Auch Pink Floyd stammen aus meiner Generation«, war Blanks Kommentar.
    Sie waren unterwegs zu einem »meditativen Wochenende«, wie sich Lucille ausdrückte. Nach seiner unbedachten Äußerung unter der Wirkung des Joints hatte sie darauf bestanden, daß er seinen Horizont auch in diese Richtung erweiterte.
    Lucille dirigierte ihn. Er kannte das Ziel ihres Ausflugs nicht. Sie hatte ihm nur gesagt, daß sie eine Nacht kampieren würden und er sich entsprechend ausrüsten solle. Er ließ sich in einem Campingshop beraten und kam mit einem Schlafsack, einem Daypack mit Überlebensfolie, wasserdichter Dokumententasche, Waschbeutel, Erster-Hilfe-Ausrüstung, Daunenjacke, Goretex-Wäsche und einer Rechnung von etwas über dreitausend Franken heraus. Als er Lucilles Schlafsack und die Tasche mit den paar warmen Sachen neben seiner Ausrüstung im Kofferraum verstaute, war er froh, daß sie schon im Auto saß.
    Lucille dirigierte Blank in einen Feldweg. Er führte in ein paar Windungen durch einen Wald zu einer Lichtung hinauf, an deren Rand ein kleines Gehöft lag. Ein paar Autos standen davor.
    Als Blank seinen Jaguar parkte, rannte bellend ein kleiner Sennenhund herbei.
    »Ruhig, Brahma«, rief der Mann, der unter der Haustür erschien. Er war um die Sechzig, hager, hatte schulterlanges, graues Haar und trug eine indische Weste mit eingenähten Spiegelchen über dem kragenlosen, blauen Sennenhemd. Lucille begrüßte ihn wie einen alten Bekannten.
    »Joe, das ist Urs.«
    Joe packte

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