Die dunkle Seite des Mondes
die Neuigkeit freuten als darüber, daß er sie ihnen eröffnet hatte.
Als sie mit dem Champagner anstießen, den Blank für den Anlaß hatte kalt stellen lassen, raunte ihm Dr. von Berg zu: »Auf Annette Weber.«
Von Anfang an bestand Lucille darauf, sich für jede Einladung mit einer Gegeneinladung zu revanchieren. Es ging ihr ums Prinzip. Es war ihre Art, ihre Unabhängigkeit zu wahren. Sie einigten sich darauf, sich gegenseitig an Orte ihrer Wahl und Möglichkeiten einzuladen.
So lernte Blank Lokale kennen, von deren Existenz er keine Ahnung gehabt hatte. Restaurants des evangelischen Frauenvereins mit Tagesmenüs zu sechs Franken; Universitätsmensen mit Salatbüffets, wo der Teller an der Kasse gewogen wurde; Selbstbedienungsrestaurants in Warenhäusern, die kurz vor Ladenschluß die ohnehin schon niedrigen Preise noch einmal senkten; Privatküchen großer Wohngemeinschaften, in denen jeder einen Obolus in eine von Kindern bemalte Schachtel warf; finstere Quartierkneipen, die zu Treffs der alternativen Szene umfunktioniert worden waren; makrobiotische Restaurants ohne Patent.
An schönen Tagen, von denen es in diesem April einige gab, lud ihn Lucille zu Frühlingsrollen auf einer Parkbank am See ein. Und manchmal kochte sie für ihn und Pat und Troll, das graue Kätzchen.
Urs Blank führte Lucille anfänglich noch in die verschwiegeneren Lokale seiner Kreise. Er hatte in Dr. von Berg einen großen Kenner von Lokalen, in denen man nicht von Bekannten gesehen wurde und wenn, dann von solchen, die selbst nicht gesehen werden wollten.
Aber je länger Evelyne zu seinen Eskapaden – so nannte sie es Ruth Zopp gegenüber – schwieg, desto beherzter wurde er in der Wahl der Lokale. Immer öfter kam es vor, daß Dr. Blank mit seinem Hippiemädchen im Thai Star oder im Fujiyama oder im Sahara oder in sonst einem der führenden Exotenrestaurants der Stadt gesehen wurde.
Nur in den Goldenen hatte er Lucille bis jetzt noch nie mitgenommen. Er respektierte ihn als das letzte Revier, in dem sich Evelyne sicher fühlen konnte.
Ruth Zopp trug handtellergroße goldene Muscheln an den Ohren, die ihre Bewegungsfreiheit einschränkten und dadurch ihrer Haltung etwas Königliches verliehen. Sie hatte Evelyne Vogt zum Abendessen eingeladen, vielmehr: Sie hatte ihr befohlen, sich mit ihr im Goldenen zu treffen, falls ihr noch etwas an ihrer Freundschaft liege.
Die beiden Frauen saßen am Nischentisch, von dem aus sie das ganze Lokal im Auge hatten. Evelyne sah aus, als ob sie wenig geschlafen hätte in den letzten Tagen.
»Paß auf, daß du keinen Altersschub bekommst«, ermahnte sie Ruth Zopp.
»Was ist ein Altersschub?«
»Man altert in Schüben. Jahrelang sieht man etwa gleich aus, und eines Morgens, wenn man in den Spiegel schaut, schwupp, ist man um Jahre gealtert.«
»Das passiert mir in letzter Zeit jeden Morgen. Und weißt du was? Es ist mir scheißegal.«
Sie hatten beide ein nicht sehr damenhaftes Menü bestellt: Kalbsbratwurst mit Rösti und ein Bier vom Faß. Ruth Zopp aß mit großem Appetit. Evelyne hatte Ruth manchmal im Verdacht, daß sie sich nach dem Essen auf der Toilette den Finger in den Hals steckte, anders konnte sie sich deren schlanke Figur nicht erklären. Aber Evelyne hatte momentan auch keine Figurprobleme. Sie hatte vier Kilo abgenommen und mußte sich zwingen, regelmäßig zu essen. Sie hatte ihre Wurst kaum angerührt.
»Wie lange machst du das jetzt schon, das Ignorieren?«
»Fünf Wochen.«
»Und, mit Erfolg?«
Evelyne schüttelte den Kopf.
»Im Gegenteil«, sagte Ruth. »Er taucht immer öfter mit der Kleinen auf. Maja hat sie im Saigon gesehen, Susanne im Thai Star – und ich im Panza Verde.«
»Wie ist das Panza Verde?«
»Vegetarisch. Frag mich, was du wirklich wissen willst.«
»Ist sie hübsch?«
»Wenn man junge Hippiemädchen hübsch findet.«
»Ehrlich.«
Ruth Zopp entschloß sich, es ihr zuzumuten. »Sie ist katastrophal hübsch. Höchstens Mitte zwanzig, schlank, schwarze Haare, dunkler Teint und Augen, wie ich sie noch nie bei einer Schwarzhaarigen gesehen habe.«
»Wie?«
Ruth Zopp überlegte. »Veilchen und Kornblumen und Milch.«
Evelyne schwieg.
»Es wird Zeit, daß du dich wehrst.«
»Was soll ich tun? Sie erschießen?«
»Schmeiß ihn raus.«
»Ich will ihn nicht verlieren.«
»Das hast du schon.«
Evelyne stiegen Tränen in die Augen.
»Ich wollte sagen: Die Chancen, daß du ihn verlierst, sind größer, wenn du ihn nicht rausschmeißt.
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