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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Wenger nickte, ließ ihn fragen: »Du meinst, deswegen hasse ich ihn?«
    »Ein bißchen einfach, aber nicht von der Hand zu weisen.«
    »Und wie erklärst du dir das folgende?« Blank erzählte von seinem Verhalten Huwyler, von Berg und Lucille gegenüber, wie er plötzlich das Interesse verlor, Hörer auflegte, Zimmer verließ. »Alles, was ich früher manchmal am liebsten getan hätte, tue ich jetzt, ohne zu zögern. Und in aller Unschuld.«
    »Psilocybin verändert die Sinneswahrnehmungen, die zeitlichen und räumlichen Wahrnehmungen, den Bewußtseinszustand. Es vermittelt dir ein anderes Selbstgefühl. Das kann zu einer Veränderung im Verhalten, in den Werturteilen und in den persönlichen Eigenschaften führen. Du hast auf deinem Trip die Einsicht gewonnen, daß es nichts gibt außer dir selbst. Und dieser Erkenntnis entsprechend verhält sich dein Unterbewußtsein.«
    Herr Foppa brachte Wenger seine obligate Mousse au chocolat und übergoß sie mit reichlich Crème fraîche.
    »Und das geht wieder vorbei?« fragte Blank.
    »Man sagt, daß Pilze dir Türen öffnen, die du nie wieder ganz schließen kannst. Nach einem psychedelischen Trip bist du nicht mehr ganz der, der du vorher warst. Aber die Nachwirkungen gehen vorbei.«
    »Wie rasch?«
    »Das ist verschieden. Nach ein paar Tagen oder Wochen oder Monaten.«
    »Läßt sich das beschleunigen?« Blank erzählte Wenger die Sache mit Troll. Die Sache mit dem Auto erwähnte er nicht.
    Wenger hatte aufgehört, seine Mousse zu essen.
    »Und das schlimmste ist: Ich habe kein schlechtes Gewissen. Keine Spur von Reue. Ich spreche mit dir nur deshalb darüber, weil ich mir einrede, daß ich etwas dagegen unternehmen muß. Weil die Dinge, die ich tue, nach allgemeinem Verständnis nicht richtig sind. Und weil es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich schlimmere Dinge tue. Ich kann nicht warten.« Blank brachte ein hilfloses Lächeln zustande. »Kann man das behandeln?«
    Wenger schob den Teller beiseite. »Ein Psilocybin-Trip ist wie jede andere Reise auch: Du kannst das Ziel bestimmen. Wenn du vor der Abreise weißt, wo du hinwillst, kommst du in der Regel dort an. Anfänger vergessen das meistens. Die wandern staunend wie Alice durchs Wunderland, und eh sie sich’s versehen, haben sie sich verirrt.«
    »Du meinst, ich soll den Trip wiederholen?«
    »Wiederholen und korrigieren. Unter Aufsicht von jemandem, der die Reise kennt und dich an der richtigen Stelle daran erinnern kann, daß du eine andere Richtung einschlagen mußt.«
    »Hast du Erfahrung mit so etwas?«
    Wenger nickte. »Wir haben Anfang der neunziger Jahre mit Psilocybin experimentiert.«
    »Würdest du das für mich tun?«
    »Klar.«
    Herr Foppa räumte den Tisch ab. Er wirkte etwas besorgt. Noch nie hatte Herr Dr. Wenger von der Mousse au chocolat etwas übriggelassen.
    Urs Blank hatte Alfred Wenger ab und zu bei Verträgen geholfen oder ihm in anderen juristischen Fragen einen Tip gegeben. Aber umgekehrt war es das erste Mal, daß Blank die Dienste von Wenger in Anspruch nahm. Er war noch nie in seiner Praxis gewesen und überrascht von der Großzügigkeit und Eleganz der Räume. Er wußte zwar, daß Wenger schon bei Evelyne Vogt eingekauft hatte. Aber daß er ein so guter Kunde war, erstaunte ihn doch.
    Sie hatten sich für den gleichen Abend verabredet. Lucille hatte er auf Wengers Bitte über den Plan, den Trip unter psychiatrischer Führung zu wiederholen, informiert. Er hatte sie gebeten, sie für den kommenden Samstag bei Joe anzumelden. Am Telefon klang sie verwundert und etwas schuldbewußt.
    Wenger unterzog Blank einem genauen Verhör über den Trip. Er hatte ein Tonband laufen und machte sich Notizen. Blank war überrascht, wieviel er in Erinnerung behalten hatte. Und wie emotionslos er darüber berichten konnte.
    Es war beinahe elf Uhr, als Wenger das Tonband abschaltete und seine Notizen beiseite legte. »Ich schlage vor, wir schreiben dich krank.«
    »Soll ich dir meinen Terminkalender zeigen?«
    Wenger blieb ernst. »Ich kann dich so nicht auf die Leute loslassen.«
    »Wenn mich ein Psychiater krank schreibt, kann ich mich gleich pensionieren lassen.«
    »Für solche Fälle habe ich meinen Briefkopf als Allgemeinmediziner. Was willst du für eine Krankheit?«
    »Lebensmittelvergiftung.«
    Die beiden nächsten Tage verbrachte Urs Blank meist schlafend in seiner Suite im Imperial. Alfred Wenger hatte ihm ein starkes Schlafmittel gegeben und kam zweimal am Tag auf Hausbesuch.
    Einmal hatte er

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