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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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hinauszuschieben.
    Er fuhr durch die kurvige Straße im Tempo eines Herrschaftschauffeurs und genoß die mondlose Nacht. Auf einmal blendete ihn der Reflex eines Scheinwerferpaares im Rückspiegel. Hinter ihm war ein Wagen dicht aufgeschlossen und gab ihm mit der Lichthupe zu verstehen, daß er überholen wolle. Blank fuhr im gleichen Tempo weiter.
    Der Wagen hinter ihm klebte an der Stoßstange des Jaguars und hatte die Scheinwerfer voll aufgeblendet. Blank reagierte nicht.
    Nach der nächsten Kurve setzte der Wagen zum Überholen an. Als er auf der gleichen Höhe war, beschleunigte Blank. Ein zweitüriges Coupé, soviel Blank erkennen konnte. Kein Gegner für seine zwölf Zylinder. Je mehr der andere beschleunigte, desto mehr beschleunigte Blank.
    So rasten sie auf die nächste Kurve zu. Blank sah, wie dort die Alleebäume im Scheinwerferlicht eines entgegenkommenden Wagens aufblitzten. Der Fahrer des Coupés, der jetzt hupend neben ihm herfuhr, mußte es auch gesehen haben. Er reduzierte die Geschwindigkeit.
    Blank reduzierte sie auch.
    Der andere trat aufs Gas.
    Blank beschleunigte.
    Der andere trat auf die Bremse.
    Blank bremste.
    Die Scheinwerfer des entgegenkommenden Wagens trafen das Coupé neben Blank. Für Sekundenbruchteile konnte er das Gesicht eines dicklichen jungen Mannes erkennen. Blank trat aufs Gas. Hinter ihm hörte er einen Knall wie von einer Explosion.
    Dann war es still. Nur das leise Summen der Klimaanlage. Urs Blank stellte das Radio an. Ein klassischer Sender spielte Haydn. Die Landstraße führte durch ein kleines Wäldchen wie durch einen Triumphbogen. An seinem anderen Ende sah Blank schon die Lichter der Stadt.

6
     
    »Weißt du, was mir an ihm gefallen hat?« fragte Lucille. »Daß man sich auf ihn verlassen kann.«
    »Ach«, machte Pat.
    »So sehen Männer aus, auf die man sich verlassen kann. Die Frisur, die Kleider, die Schuhe, das Auto, alles.«
    Es war ein Uhr. Sie saßen in der Küche. Bis Mitternacht hatte sich Lucille dagegen gewehrt, daß Pat einen Joint drehte. Falls jemand kam, der Troll gefunden hatte, sollte es nicht nach Gras riechen. Aber dann hatte sie sich überzeugen lassen, daß niemand mehr kommen würde. Schon gar nicht Urs Blank. Den hatte sie schon kurz vor zehn abgeschrieben.
    »Der war nichts für dich, Lu, das habe ich dir von Anfang an gesagt.«
    »Weil du voreingenommen bist.«
    »Besser voreingenommen als verarscht.«
    »Er verarscht mich nicht.«
    »Einen, der seine Freundin allein läßt, wenn ihr die Katze entlaufen ist, kannst du vergessen. Und einen, der seine Angestellten anschreit, auch.«
    »Vor dem Pilztrip war er nicht so.«
    Pat streckte Lucille den Joint hin. »Jetzt fühlst du dich auch noch verantwortlich.«
    Lucille nahm einen Zug und behielt den Rauch lange in der Lunge. »Nach einem Pilztrip ist man nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor.«
    »Das glaube ich nicht. Ein Trip verändert dich nicht. Er holt nur Dinge raus, die immer in dir drin waren.«
    »Es heißt, in allen sei alles drin.«
    »Glaub nicht jeden Quatsch.«
    Das Telefon klingelte. Lucille nahm es vom Tisch und ging damit in ihr Zimmer.
    »Er hatte eine Panne«, erklärte sie, als sie nach längerer Zeit zurückkam.
    »Und weshalb hat er nicht angerufen?«
    »Weit und breit kein Telefon.«
    »Der hat doch in jeder Tasche ein Handy.«
    »Batterie leer.«
    »Glaub nicht jeden Quatsch.«
    Die Zeitungen brachten eine kleine Meldung von einem tödlichen Unfall. Der Fahrer eines Coupés war oberhalb von Neuwald mit einem korrekt entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert. Beim schuldigen Lenker handelte es sich um einen vierundzwanzigjährigen Maschinenbauzeichner auf dem Weg nach Hause. Beim anderen um einen siebenundsechzigjährigen Handharmonikaspieler unterwegs zu einem bunten Abend. Beide Insassen waren auf der Stelle tot. Zeugen wurden gesucht.
    Das Plakat der Boulevardzeitung lautete: HORRORUNFALL ! LÄNDLERKÖNIG TOT !
    Urs Blank forschte in seinem Inneren nach irgendeiner Regung. Er fand nichts.
    Ott saß mit Nauer im Safari-Salon. Sie hatten etwas Wildlachs und Kaviar gegessen. Russischen, wie es Otts Sinn für Humor entsprach. Denn der Grund für den Arbeitslunch war Fluris ›Rußlandfeldzug‹.
    Otts Ausflug nach Moskau hatte sich in jeder Beziehung gelohnt. Allein die Immobilien, die er in Moskau gesehen hatte, würden Fluris Fusionsbilanz bei einer realistischen Bewertung um über vierzehn Millionen Dollar verschlechtern. Auch ohne daß er die sechs Millionen, die sie in

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