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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Lucille dabei. Sie brachte ihm einen Strauß selbstgepflückter Frühlingsblumen und den Bescheid, daß Joe und Shiva mit der Wiederholung der Session einverstanden seien. Sie erwarteten sie am Samstag vormittag. Über Troll sprachen sie nicht.
    Sie saß schüchtern an Blanks Bett wie eine Nichte, die gezwungen ist, ihren kranken Onkel zu besuchen. Sie ließ sich nicht zweimal bitten, als Wenger sagte: »Wenn Sie mich jetzt mit dem Patienten alleine lassen würden.«
    »Du schützt sie vor mir, nicht wahr?« fragte Blank, als Lucille gegangen war.
    »Ich schütze dich vor dir.«
    Es hatte in der Nacht geregnet. Der Weg durch den Wald zum Tipi war glitschig. Immer wieder mußten sie Pausen einlegen und die Lehmstollen entfernen, die an ihren Schuhen klebten.
    Die Wiese, auf der das Tipi stand, war frisch gemäht. Nur dicht an den Zeltstangen hatte die Mähmaschine ein paar Reihen hoher Halme stehen lassen. Die Felswand verlor sich keine fünf Meter über ihnen im Nebel. Der Wasserfall fiel aus dem Nichts in das kleine Bassin. Aus dem Tipi stieg Rauch, der sich als graublauer Deckel über der Lichtung breitmachte. Es war kühl.
    Shiva hatte sich dem Wetter angepaßt. Sie war keine blonde Squaw mehr, sondern eine ältere, zu stark geschminkte Frau in einem ausgebeulten grauvioletten Trainingsanzug. Ihr Haar hatte sie unter einem bunten Kopftuch versteckt, dem einzig Psychedelischen an ihrer Erscheinung. »Wenn es nicht für euch wäre, hätten mich heute keine zehn Pferde hier heraufgebracht«, war ihre Begrüßung.
    Für uns und die dreitausend Franken, die Joe mit Lucille ausgehandelt hat, dachte Blank.
    Er half Joe mit den heißen Steinen und machte sich für die Schwitzhütte bereit. Erst als er nackt – und ohne Handtuch – fröstelnd mit den anderen über die Stoppelwiese ging, fiel ihm auf, daß er damit kein Problem mehr hatte. Hatte er auch diese Hemmung verloren?
    Schon nach dem ersten Aufguß wurde ihm warm. Er genoß das Kitzeln der hundert dünnen Schweißbäche, die an seinem Körper herunterliefen. Und er atmete tief, als Joe seine Rauchopfer aus Minze, Oregano, Rosmarin und Hanf darbot.
    Als sie ins eiskalte Wasser des Naturbassins tauchten, sah es aus, als könnte die Sonne den Kampf gewinnen, den sie dem Nebel über den Fichten lieferte.
    In der Wärme des Tipi entspannte er sich vollends. Alfred Wenger setzte sich neben ihn. So hatten sie es vorher abgesprochen. Wenger würde keinen Schritt von seiner Seite weichen, wie lange der Trip auch dauerte.
    Als Shiva sagte: »Versucht, die kritisierende, urteilende innere Instanz auszuschalten und den Prozeß zu erleben, ohne ihn zu früh analysieren zu wollen«, tauschten sie einen Blick. Shiva konnte nicht wissen, daß das Ziel seiner Reise war, die kritisierende, urteilende innere Instanz wieder einzuschalten.
    Sie begann ihr Zeremoniell vor ihrem kleinen Pilzaltar. Sie murmelte ihre Formeln, nahm das Tuch vom Pilztablett, hielt es über den Kopf, schloß die Augen, verharrte einen Moment und gab es weiter.
    Blank wußte, daß er das letzte Mal sechs Pilze genommen hatte. Als Wenger, ohne sich bedient zu haben, das Tablett an ihn weiterreichte, versuchte er sich zu erinnern, wie groß sie gewesen waren. Er entschied sich für drei mittlere und drei kleine.

7
     
    Joe trommelte auf den Bongos. Shiva schüttelte die Rumbakugeln. Lucille bearbeitete den Guiro. Wenger klopfte das Tamburin. Blank hielt seine Schellentrommel vom letzten Mal in der Hand. Er spielte nicht. Er hatte keine Lust. Es genügte ihm, den anderen zuzuhören und zu spüren, wie der Rhythmus in seinen Körper überging.
    »Spiel doch, spiel, wie letztes Mal«, ermunterte ihn Alfred Wenger und trommelte dazu ostentativ auf seinem Tamburin.
    Blank wurde von einem Lachanfall geschüttelt. »Wie Herr Moser«, brachte er heraus.
    »Wer?« fragte Wenger.
    »Du!« jauchzte Blank. Herr Moser war ihr Klassenlehrer gewesen. Ein sehr liebenswürdiger, durch und durch unsportlicher Mensch. Seine tuntige Art, zu ihren Freiübungen das Tamburin zu schlagen, machte seine Turnstunden zur Legende.
    »Wie-letz-tes-Mal-wie-letz-tes-Mal«, skandierte Wenger und schlug das Tamburin im Takt dazu. Das löste bei Blank einen neuen Lachanfall aus. Er stand auf und ließ kichernd die Hüften zum Takt der chaotischen Combo kreisen. Er stützte die Fäuste in die Taille, hob das linke Bein, das rechte Bein. Urs Blank, das Hula-Mädchen.
    Von da an überließ er sich ganz dem Rhythmus. Nicht wie beim ersten Mal, als

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