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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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bestellt. Sie hatte Angst, Evelyne könnte sich etwas antun.
    »Nach dem, was sie mir von eurem Abend berichtet hat, sieht es nicht aus, als hätte die Therapie etwas bewirkt.« Wenger klang mehr besorgt als vorwurfsvoll.
    Blank korrigierte ihn. »Das stimmt nicht. Mein Gewissen ist wieder erwacht, nur am Timing muß ich noch arbeiten.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es meldet sich erst hinterher. Wenn es zu spät ist. Aber es meldet sich. Wie geht es Evelyne?«
    »Sie ist in Ordnung. Sie schläft. Frag mich, wie es mir geht. Frag mich, wie viele Stunden ich seit Freitag geschlafen habe.«
    »Tut mir leid.«
    »Stimmt, dein Timing könnte verbessert werden.«
    Wenger legte auf.
    Am nächsten Morgen ging Urs Blank auf dem Weg zur Kanzlei bei Lambert vorbei, dem ältesten Blumenladen der Stadt. Er wählte einen Strauß Kamelien und schrieb eine Karte. Evelyne, verzeih. Laß uns Freunde bleiben.
    Zur gleichen Zeit versandte auch Pius Ott einen Gruß. Er war wie jedes Jahr um diese Zeit im Eschengut für das, was er den großen Service nannte: Einen gründlichen Checkup, eine Entschlackung und eine Frischzellenkur. Er wußte zwar, daß die Wissenschaft an der Wirkung dieser Behandlung mit lebenden Zellen von Lamm-Embryos zweifelte, aber er fühlte sich danach immer verjüngt und unternehmungslustig.
    Diesmal trat dieser Effekt bereits am Anfang seines Aufenthaltes ein. Aber es hatte weniger mit der Behandlung zu tun als mit der Nachricht, die er soeben erhalten hatte. Mit ihr hatte auch der Gruß zu tun. Er steckte eine Zigarre und eine Visitenkarte in einen Umschlag und ließ ihn von Igor überbringen.
    Kaum saß Blank hinter seinem Schreibtisch, streckte sein zweiter Partner, Dr. Geiger, den Kopf zur Tür herein. »Fluri hat sich erschossen.«
    »Fluri von ELEGANTSA ?«
    »Ex- ELEGANTSA , Ex- CHARADE . Ex.«
    »Weiß man, weshalb?«
    »Wissen tut man nichts. Aber vermuten. Der ›Rußlandfeldzug‹. Um die dreißig Millionen sollen da aufgetaucht sein. Es heißt, ab zwanzig haftet er persönlich. Eine Klausel im Fusionsvertrag. Sagt dir das etwas?«
    »Scheiße. Ich konnte doch nicht ahnen…«
    »Ich dachte, ich hätte dir so etwas angedeutet.« Geiger zuckte die Schultern und verließ das Büro.
    Blank versuchte das Bild des alten, resignierten Mannes im graubraunen Dreiteiler zu vertreiben, wie er in das Taxi stieg, nachdem er ihn in der Waldruhe dazu gezwungen hatte, die Klausel zu unterzeichnen.
    Er wandte sich dem Stoß von Papieren zu, die sich in den zwei Tagen angesammelt hatten.
    Petra Decarli brachte ihm einen Umschlag. Er war von einem Boten abgegeben worden und enthielt ein Zigarrenetui mit einer Romeo y Julieta. Und eine Visitenkarte von Pius Ott.
    Für Blank gab es Turnschuhjournalisten und Krawattenjournalisten. Pedro Müller war beides. Er trug Krawatte und Turnschuhe und ließ offen, welches von beiden die Konzession darstellte. So schrieb er auch.
    Sie trafen sich in einem Café, das um diese Zeit – es war elf Uhr – nur von ein paar älteren Frauen und ihren dicken Hunden besetzt war. Müller ließ Blank zehn Minuten warten und erwähnte seine Verspätung nicht. Ein Zeichen, daß er sich sehr sicher fühlte.
    »Die Tatsache, daß Huwyler Sie einschaltet, ist so viel wert wie eine Bestätigung«, begann er.
    Blank hatte sich vorgenommen, das Gespräch als Test für seine Verfassung zu betrachten. Er wollte versuchen, an seinem Timing zu arbeiten. Das Gewissen früher ins Spiel bringen.
    Die Serviertochter brachte Müller seinen Cappuccino, der hier aus einem Kaffee mit Schlagrahm und Schokoladenpulver bestand. Das verschaffte Blank etwas Zeit.
    Als sie wieder allein waren, nahm Müller einen Schluck. Ein dünner Schnurrbart aus Rahm mit Schokoladenpulver blieb auf seiner Oberlippe zurück. »Wir kommen in der nächsten Ausgabe mit der Fusionsgeschichte.«
    »Das werden Sie nicht.« Es klang wie eine Feststellung.
    »Und was gedenken Sie dagegen zu tun?«
    »Ihnen das Genick brechen.«
    Müllers Lächeln erlosch. Er machte sich eine Notiz. »Mit welcher Handhabe?«
    »Mit diesen beiden Handhaben.« Blank packte Müllers dünnen Hals mit beiden Händen und drückte zu. Ganz leise sagte er: »Wenn Sie Ihr diffuses Gerücht auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnen, werde ich Ihren ungewaschenen Hals umdrehen, Sie widerliches, kleines, stinkendes Stück Scheiße.«
    Ein fast kahler Rauhhaardackel unter einem Nebentisch fing an zu bellen. »Ruhig, Lola, die Herren machen nur Spaß«, beruhigte ihn die

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