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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Frage noch, Urs.«
    Blank sah ihm an, daß jetzt etwas Wichtiges kam.
    »Hast du irgendwann in diesen Tagen das Gefühl gehabt, du könntest nicht nur einer kleinen Katze gefährlich werden?«
    Blank zögerte einen Moment. Dann schüttelte er den Kopf. »Nie. Außer meinem Psychiater.«
    Am Nachmittag begann es zu regnen. Der Regen lief als Wasserfilm am Bürofenster herunter und ließ die blühenden Roßkastanien auf der Straße unten aussehen wie riesige Sträuße in der Auslage eines altmodischen Blumengeschäfts.
    Blank stand am Fenster und konnte sich nicht von diesem Anblick losreißen. Er erinnerte ihn an den Wald unter Wasser. Und an das Gefühl, ihn zu durchschwimmen.
    Gegen halb fünf Uhr verließ er die Kanzlei. »Ich mache etwas früher Schluß, Petra«, informierte er seine Sekretärin im Vorbeigehen. Nicht zum ersten Mal glaubte er in ihrem »Schönen Abend!« einen mißbilligenden Unterton bemerkt zu haben.
    Eine knappe Stunde später joggte Blank durch den Stadtwald. Das Buchendach war jetzt zugewachsen und verwandelte den Regen in einen feinen Wassernebel. Er färbte die Stämme dunkel und ließ Blanks blauen Trainingsanzug schwarz an seinem Körper kleben.
    Blank rannte wie in Trance. Er hatte den Punkt überwunden, wo die Lungen schmerzten und die Seiten stachen. Das Wasser, das ihm in die Augen drang, ließ den Wald zur Unterwasserlandschaft verschwimmen. Er war dem Glücksgefühl vom letzten Wochenende dicht auf den Fersen.
    Es war schon fast dunkel, als Blank zu seinem Wagen zurückkam. Sein Jaguar war das letzte Fahrzeug auf dem kleinen Parkplatz, den man am Anfang des Fitnessparcours errichtet hatte. Blank wartete, bis er wieder zu Atem gekommen war, dann schloß er den Wagen auf. Er öffnete den Kofferraum und nahm ein großes Frottiertuch heraus. »Grand Hotel Imperial« stand drauf. Er begann sich die Haare trockenzurubbeln.
    Als er das Tuch abnahm, stand ein junger Mann vor ihm. Sein Haar hing ihm in langen, nassen Strähnen herunter. Er war bleich und unrasiert und hatte Angst.
    »Alle Kohle, alle Wertsachen, alles«, stammelte er. Er hielt Blank eine Spritze vors Gesicht. Sie war mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt. »Blut. Positiv.«
    Das einzige Gefühl, das Blank verspürte, war Verwunderung. Verwunderung darüber, daß ihm so etwas passierte. Und darüber, daß er keine Spur von Angst empfand. »Okay«, sagte er, »ganz ruhig!« und begann das Armband seines Chronometers zu öffnen. »Dafür allein müßte man dir über zwanzigtausend geben. Im Laden bekommst du sie nicht unter fünfzig. Aber Vorsicht, da ist etwas eingraviert. Das mußt du dir rausschleifen lassen.«
    Blank hielt dem Jungen die Uhr entgegen. Der nahm sie mit der freien Hand.
    »Geld und Wertsachen sind im Wagen. Soll ich es holen?«
    »Aber kein Scheiß«, sagte der Junge und erschrak über die Lautstärke seiner Stimme. Blank öffnete die Fahrertür, nahm den Fahrzeugausweis, ein paar Karten und was er sonst noch an Papieren fand und griff sich die schwere Taschenlampe im Türfach.
    »Hier.« Er streckte dem Jungen die Papiere entgegen und ließ sie fallen.
    Als der Junge sich hinunterbeugte, traf ihn die Taschenlampe am Hinterkopf. Er sackte zusammen.
    Blank knipste die Lampe an und hob seine Sachen auf. Er stieg in den Wagen und wendete.
    Als er aus dem Parkplatz hinausfuhr, tat der schwere Wagen einen kleinen Rumpler. Im Rückspiegel sah es aus, als hätte der Junge am Boden gezuckt. Aber genau konnte er das im schwachen Rot des Rücklichts nicht erkennen.

9
     
    Urs Blank fuhr ins Imperial, gab dem Türsteher seinen Wagenschlüssel, holte an der Rezeption den Zimmerschlüssel und nahm ein heißes Bad. Er zog einen Pyjama und seinen Alpakaschlafrock an und bestellte sich ein Steak und Salat aufs Zimmer. Er aß an seinem Arbeitstisch und studierte dazu die Akten, die er sich aus dem Büro mitgenommen hatte. Um zehn ging er ins Bett.
    Um zwei Uhr wachte er auf. Er fror. Er hatte die Bettdecke weggestrampelt. Der Pyjama klebte am Körper. Sein Gesicht war naß. Durch das halboffene Fenster zog ein frischer Wind. Regen trommelte auf die Kastanienblätter im Hotelpark.
    Er stand auf, schloß das Fenster, rieb sich trocken und zog einen frischen Pyjama an. Er wendete die Bettdecke und legte sich auf die trockene Seite des Bettes.
    Als er das Licht ausmachte, traf ihn das Bild des zuckenden Jungen mit voller Wucht.
    Er machte Licht und setzte sich auf den Bettrand. Sein Herz klopfte wie nach einer großen

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