Die dunkle Seite des Mondes
schneller. Die Spinne befreite hastig ihre Klaue aus dem Drahtbündel und schnellte heran. Die zupackenden Scheren verfehlten ihn um eine Armlänge. Er drehte sich langsam um die eigene Achse. Obwohl er sich fast den Kopf verrenkte, verlor er die Spinne aus dem Blickfeld. Es lief ihm kalt den Rücken herunter, und er glaubte zu spüren, wie sie ihn beobachtete und ihre Chancen abschätzte. Nach endlos scheinenden Sekunden prallte er sanft gegen die Säule. Inzwischen hatte sich seine Fallbewegung derart beschleunigt, daß er fast anderthalb Meter über den rauhen Fels abrutschte, bevor er sich festhalten konnte. Der heftige Ruck zerrte schmerzhaft an seinen Schultergelenken und erinnerte ihn nachdrücklich daran, daß er zwar vorübergehend sein Gewicht, nicht aber seine Masse losgeworden war. Stöhnend zog er sich nach oben, bis er sicheren Halt hatte, dann schaute er sich um. Die Spinne wippte auf dem Drahtbündel und starrte unverwandt zu ihm hinüber. Anscheinend zögerte sie, das Risiko einzugehen. Jagdinstinkt und kühle Vorsicht hielten einander die Waage. Verärgert klickte sie mit den Scherenklauen. Hartmann spürte, wie ihn Erleichterung übermannte. Er lachte, ein Geräusch, das mehr danach klang, als habe er den Verstand verloren. »Na los doch«, brüllte er, winkte und hätte fast den Halt verloren. »Traust du dich nicht, du Mißgeburt?« Die Spinne hörte auf zu wippen. Ihre Augen funkelten. Hartmann erstarrte. Er würde diesen Verfolger nicht loswerden, begriff er. Früher oder später würde die Spinne wieder in seiner Nähe auftauchen. Moroni-Kreaturen waren ausdauernd wie Maschinen. Seine Gedanken überschlugen sich, verharrten plötzlich. »Was ist? Los, spring schon.« Hartmann vermied es, nach unten zu sehen, und löste das Funkgerät vom Rücken. Vorsichtig wickelte er sich den Tragegurt um die rechte Hand, dann ließ er das Funkgerät am Riemen herabhängen. Die ganze Zeit über behielt er wachsam die Spinne im Auge. »Komm schon, du elender Feigling.« Die Spinne warf ihre schweren Klauenarme nach vorn und stieß sich mit den Beinen ab. Sie hatte haarige Beine, aber keines war besonders kräftig. Obwohl er an der Säule ein Stück nach unten abgerutscht war, kam sie erst auf seiner Höhe an die Felswand heran. Er hielt sich mit der rechten Hand an einer stählernen Naht im Fels fest und ließ sich am ausgestreckten Arm von der Wand hängen, schwang das Funkgerät am Riemen wie eine Schleuder. Die Spinne entfaltete ihre Beine und riß das zahngefüllte Maul weit auf, als sie auf Armlänge herabgesunken war. Hartmanns Funkgerät traf sie mitten in das häßliche Gesicht. Das Maul schloß sich reflexhaft, die widerstandsfähige Verkleidung des Funkgerätes splitterte, und die diamantharten Zähne zermalmten die empfindliche Elektronik. Ein ohrenbetäubend gellendes Pfeifen ertönte, als sie die Überreste des Funkgerätes ausspuckte und die Scheren nach der Säulenwand ausstreckte. Hartmann beobachtete mit angehaltenem Atem, wie sie nach einer Strebe griff. Einen Sekundenbruchteil lang schien die Strebe die Fallbewegung zu stoppen, dann glitten die Scherenkanten ab und zerschnitten die Stahlverstrebung, und Hartmanns unheimlicher Widersacher stürzte kreischend in die Tiefe. Er starrte hinterher, bis er die Spinne nicht mehr sehen konnte. Er fluchte anhaltend. Der Verlust des Funkgerätes war nicht einkalkuliert gewesen, aber er hatte keine andere Wahl gehabt. »Ich werde mich beeilen müssen«, sagte er. Vorsichtig begann er mit dem Aufstieg. Die Felssäule war durchsetzt mit tiefen Rissen, aus denen ein schwarzes, mürbes Mineral herausbrach. Solange er sich an festem Basalt und den daran angebrachten Stützen festhielt, war er in Sicherheit. Langsam gewann er Meter um Meter an Höhe, und nach einer Viertelstunde konnte er in dem allgegenwärtigen rötlichen Widerschein des Lavasees die kuppelförmige Decke der Blase erkennen. Kurz darauf zog er sich ächzend über die Kante auf die gut fünfzehn Meter durchmessende Fläche am oberen Ende der Säule. Im ersten Moment begriff er überhaupt nicht, wo er sich befand. Er plagte sich auf, wischte sich den brennenden Schweiß aus den Augen und sah sich um. Die Säule endete nicht im Deckengewölbe. Genau genommen hatte sie überhaupt keine Verbindung zur Decke. Er kniete auf einer blankgefegten, polierten Kreisfläche, die mindestens zwanzig Meter unter dem Deckengestein lag. Anscheinend standen diese Säulen freitragend in dem
Weitere Kostenlose Bücher